„To do or not to do“ – Chancen des Unterlassens

Keine Angst, es wird keine BWL-Vorlesung – aber ich möchte einmal eine Lanze für die Betrachtung der Opportunitätskosten brechen.

Was Opportunitätskosten sind? Im Grunde ist es ganz einfach – es handelt sich um eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung von Handlungsalternativen. Selber Rasen mähen oder mähen lassen – was könnte man in der Zeit tun und welchen Ertrag könnte man den Kosten des Mähen lassens gegenüber stellen?!

Wie ich auf die Opportunitätskosten komme? Ganz einfach, in meinem Berufsalltag sehe ich immer wieder, wie genau dieser Aspekt in der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung von Organisationen ignoriert wird.

Schauen wir uns die Opportunitätskosten einfach mal an einem Beispiel an.

Beispiel: Wechsel von Vertragspartnern

Im Consulting bzw. bei Ingenieursdienstleistungen ist es ein typisches Spiel – man wird zeitlich befristet beauftragt, „projektgebunden1“ und nach Ablauf wird aus „Preisgründen“ ein anderer Dienstleister beauftragt. Nach klassischer, „marktwirtschaftlicher“ Betrachtung ist das ja auch eine durchaus korrekte Vorgehensweise. Der Einkauf2 wird am Ergebnis der Einsparungen bewertet3 und versucht dementsprechend zu optimieren.

Zerlegt man aber diesen ständigen Wechsel der Projektpartner in seine tatsächliche Wirtschaftlichkeit, schaut es recht schnell recht trübe aus.

Phase 1 – Anfrage

Auch wenn der Einkauf in der Regel technisch die Anfragesituation schon recht weit optimiert hat, inhaltlich ist es doch immer wieder erforderlich, Anpassungen an den Anfragedokumenten vorzunehmen. Für vergleichbare Angebote sind detaillierte Lastenhefte zwingend erforderlich. Und diese Lastenhefte sind ein Zeit- und Produktivitätskiller, muss man sich von Seiten der ausführenden Fachabteilungen doch mit mehr oder weniger fachfremden, organisatorischen Themen auseinandersetzen, was letztlich durch Abnahmeprozesse hindurchgeschleust werden muss und somit viel Kapazitäten kostet. Rechnen wir spaßeshalber einmal optimistisch mit 3-4 Mannwochen4, die dieser Prozess netto verbraucht.

Phase 2 – Angebotspräsentation(en)

Sind die Anfragen bei den potentiellen Auftragnehmern eingegangen, werden die Anfragelastenhefte analysiert, Angebote erstellt und optimiert. Die Kosten hierfür trägt (zunächst) der potentielle Auftragnehmer, kalkuliert sie aber natürlich in sein Angebot mit ein. Ich würde jetzt auch einmal spaßeshalber mit ca. 2 Mannwochen rechnen.

Jetzt muss sich der Anbietende präsentieren, also seine Firma vorstellen, die anvisierten ausführenden Mitarbeiter, deren Knowhow und somit letztlich die Argumentation, warum ausgerechnet diese eine Firma den Auftrag am Besten ausführen kann. Für die Erstellung und Abstimmung der Präsentation würde ich jetzt einmal eine Mannwoche einkalkulieren.

Und so sitzen bei der Präsentation Einkauf, eine Führungskraft und ein Angestellter der Fachabteilung zusammen mit dem Verkauf, Führungskräften und Angestellten von x Bewerberfirmen, um zu einer Einschätzung zu gelangen. Je nach Anzahl der Bewerberfirmen kommen hier schnell drei Mannwochen (zu bezahlender) Zeitaufwand zusammen. Rückfragen gibt es üblicherweise auch immer so dass hier ebenfalls knapp 2 Mannwochen Aufwand hinzukommen.

Phase 3 – Einarbeitung

Typisch für die Einarbeitungszeit ist die Übergabephase durch den vorherigen Dienstleister, die Bereitstellung der erforderlichen Berechtigungen und IT-Zugriffe sowie Einarbeitung durch den Auftraggeber selbst.

Grob kalkuliert komme ich hier immerhin auf einen Zeitaufwand von ca. 15 Mannwochen. Etwas detaillierter in unten stehender Tabelle.

Phase 4 – Betrieb

Im eigentlichen Projektablauf kommen zur eigentlichen Abarbeitung des Auftrags noch Projektmanagement sowie Statusmeetings5 hinzu, was als Aufwand im Summa auch schon wieder 10 Mannwochen verursacht. Typische Reibungsverluste durch externe und interne Arbeit sowie Dokumentationsmehraufwand habe ich einmal optimistisch mit einer Stunde pro Woche einkalkuliert.

Phase 5 – Ausphasung – Übergabe

Durch das Wissen der Auftragnehmer, das Thema potentiell auch wieder abgeben zu müssen, wird natürlich auch die Ausphasung und Übergabe an Nachfolgeorganisationen in die Gesamtkalkulation aufgenommen, wobei ich mit lediglich zwei Mannwochen rechne.

Gesamtrechnung

Rechne ich einmal die Aufwände zusammen, komme ich auf folgende Zahlen:

  • Phase 1 – 4 Mannwochen
  • Phase 2 – 8 Mannwochen (gerechnet auf 3 Anbieter)
  • Phase 3 – 15 Mannwochen
  • Phase 5 – 2 Mannwochen

Phase 4 habe ich nicht vergessen, sie ist nur kein Extra-Aufwand, der in meine Berechnung einfließt, systembedingt aber vorliegt.

Ein Wechsel des Auftragnehmers kostet also grob geschätzt bei (nur) 3 berücksichtigen Anbietern6 29 Mannwochen, was bei einer von einem Mannjahr7 bereits 56% des eigentlichen Auftragsvolumens ausmacht. Ganz ehrlich – mit dieser Höhe hätte ich jetzt selbst nicht gerechnet, realistisch ist es aber allemal.

Nicht einkalkuliert sind dabei die ganzen Nebeneffekte wie Motivation bei Auftraggeber wie Auftragnehmer, Frustration wegen Mehraufwand durch zusätzliche Dokumentation und unstete Lebenssituationen, Kalkulation Deckungsbeitrag u.s.w.

Konklusion

Opportunitätskosten gehen nicht in die Bilanz ein. Allerdings sollten sie langsam in die Köpfe von Entscheidern eingehen. Bei der Betrachtung des Beispiels Neuvergabe eines Projekts wird schnell klar, dass Einsparungen beim Einkauf zu nicht zu vernachlässigenden Folgekosten führen, wobei ich eine rein konservative, optimistische Schätzung zugrunde gelegt habe.

Grundsätzlich kann und sollte man jede Entscheidung hinsichtlich der Opportunitätskosten überprüfen. Dabei sollte man nicht nur auf die typischen, kommerziellen Gesichtspunkte schauen, sondern auch potentielle Folgekosten durch:

  • Mehraufwände durch Auftragsvergabeprozesse
  • Mehraufwände durch zusätzlich erforderliche Organisationsstrukturen8
  • Mehraufwände durch steigende Frustration bei Mitarbeitern9
  • Mehraufwände durch Komplexitätssteigerung
    • zusätzliche Entwicklungs- und Dokumentationskosten
    • zusätzliche Testingaufwände10
    • zusätzlicher Kommunikationsbedarf Richtung Werbung11
    • zusätzlicher Supportbedarf ggü. Endkunden
    • zusätzlicher Wartungs- und Servicebedarf12
    • Risiken von Rechtsstreiten (Lizenzkosten, Gesetzeslagen, Einhaltung von Werbeversprechen)
  • Leistungseinbußen durch verringerte Motivation13
  • erhöhter Energie- und Materialaufwand
  • neue, ggf. ethisch bedenkliche Materialien
  • u.s.w.

Viele Entscheidungen würden vermutlich einer Prüfung dieser und weiterer Aspekte kaum standhalten. Warum werden sie trotzdem gefällt?

Die Ursachen sind vielfältig. Vermeintlicher Innovationsdruck14, ungeprüfte Kundenanforderungen15, Protektionismus16 innerhalb der Organisationen seien schon einmal aufgeführt.

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