Zeit: „Wer ewig keine Macht hat, wird irgendwann mächtig wütend.“

Manchmal reicht ein kleines Textfragment, um die „kleinen grauen Zellen“ zum Arbeiten zu bekommen. Die ZEIT hat es zumindest bei mir geschafft.

„Wer ewig keine Macht hat, wird irgendwann mächtig wütend.“, formuliert Martin Machowecz und trifft zumindest bei mir einen Nerv.

Keine Angst, ich ziehe nicht die „Betroffenenkarte“. Ich bin zwar Ossi, aber mittlerweile auch Bayer1. Mir geht es eher um den Ausspruch als Solchen, als um eine Ossi-Wessi-Diskussion, die ich für (fast) obsolet halte.

Macht bzw. Machtverteilung sollte eigentlich zumindest nachvollziehbar sein. Ich habe aber mittlerweile das Gefühl, dass es schon lange nicht mehr der Fall ist. Vielleicht sind meine „Antennen“ etwas überempfindlich, was politische, wirtschaftliche und soziale Themen angeht. Vielleicht ist die Überempfindlichkeit eine Folge davon, dass ich auch ein nicht-demokratisches, politisches System kennengelernt habe.

Dem Begriff nach steht Demokratie für „dēmos kratós„, also die Herrschaft des Volkes. Die Definition der Herrschaft nach Max Weber ist sehr interessant. Herrschaft setzt nach Weber Legitimität voraus, was also den Legitimitätsglauben der Beherrschten erfordert. Legitimität unterscheidet Herrschaft von Macht. Weiterhin ist aber auch eine andere Definition nach Dieter Nohlen interessant, nämlich Herrschaft als „asymmetrische soziale Beziehung mit stabilisierter Verhaltenserwartung, wonach die Anordnungen einer übergeordneten Instanz von deren Adressaten befolgt werden“2.

Beide Definitionen enthalten für mich einen gewissen Sprengstoff, an den Machowecz die Lunte gelegt hat.

Legitimität

Zwar wird die Legitimität durch ein Wahlsystem per Definition sichergestellt, inhaltlich ist sie jedoch meines Erachtens schon reichlich durch parteipolitische Verhaltensweisen ausgehöhlt. Es reicht nicht, dass sich jemand zur Wahl stellt, die Chancen gehört zu werden, werden von den Parteien bestimmt. Es zählt also nicht die Überzeugung3, sondern Assimilation in den Parteikonsens. Widerspruch und Fortschritt sind so aber in meinen Augen nicht möglich. So sehe ich zumindest das Verhalten der etablierten Parteien in Bezug auf Umfrageergebnisse. Einem Luther innerhalb der Parteien würden Papier, Tinte und Hammer frühzeitig aus der Hand genommen.

Zur Legitimität gehört aber auch der Legitimitätsglaube, also die „stabilisierte Verhaltenserwartung“ gegenüber der „übergeordneten Instanz“. Proklamierte Ausrufe wie „Merkel muss weg“ zeugen meines Erachtens von einem schwindenden Glauben, was in letzter Konsequenz auch ein Schwinden der Legitimität bedeutet. Autsch.

Verhaltenserwartung

Die untergeordnete Instanz, wie sie von Nohlen proklamiert wird, muss der Wähler sein. Dabei ist auch klar, dass der Wähler in erster Linie ein Mensch ist, dessen Verhalten sich im Spannungsfeld von Philanthropie4 und Misanthropie5 bewegt. Im Kern ist der Mensch und Wähler aber auch mehr oder weniger ein klarer Egoist, dessen Handlungsmaxime auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Das soll absolut keine Wertung sein, nur den Handlungsspielraum darstellen, der letztlich für die Verhaltenserwartung eine Rolle spielt.

Jeder Bürger sucht durch die Abgabe seiner Stimme die Politik in der Weise zu beeinflussen, die seine persönliche Lebenssituation verbessert oder zumindest nicht verschlechtert. Natürlich kann man nicht erwarten, dass der Wähler die makroökonomischen Zusammenhänge überblickt, stellen sie doch selbst für ausgebildete Volkswirtschaftler ein sehr komplexes Themengebiet dar.

Was man als Mensch aber mit großer Aufmerksamkeit wahrnimmt, ist eine mögliche Bevorzugung von Bevölkerungsgruppen oder der Wirtschaft. Schaut man nun auf das populistische Verhalten politischer Neu- und Wiedereinsteiger6, zeigt sich für mich, dass die Verhaltenserwartung der Wähler gegenüber den etablierten Parteien ein ziemliches Gap aufweisen. Und genau hier kommt die Lunte von Herrn Machowecz ins Spiel.

Das latente Gefühl von Ohnmacht – und hier spielt es keine Rolle, ob es sich die Machtlosigkeit von Ossis oder auch anderen, benachteiligten Bevölkerungsgruppen handelt – führt mittelfristig zu einer Wut, deren Sprengkraft vielleicht nicht unbedingt in brennenden Autos7 sondern nicht-demokratischen Wahlergebnissen liegt.

Die Ohnmacht gegenüber Lobby-Aktivitäten, Parteispendenaffären, Bevorzugung von Vermögenden darf auf keinen Fall unterschätzt werden. Aus politische Sicht wäre es in meinen Augen wichtig, unter Berücksichtigung makroökonomischer Zusammenhänge und auch Opportunitätskosten, die persönlichen, zugegebenermaßen egoistischen Ziele der Bevölkerung wahrzunehmen und in Handlungsanweisungen umzusetzen. Dass Gefühl der Masse, dass lediglich die oberen Prozente der Wähler berücksichtigt werden, ist in meinen Augen ein deutlicher Indikator für nicht-demokratische Politik.

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