Reisende soll man nicht aufhalten…

Situationsbedingt bekomme ich aktuell immer wieder die Frage gestellt, warum Mitarbeiter Firmen verlassen, eine Frage bei der bereits die Intension des Fragenden verschiedensten Aspekten unterliegen kann.

Der Fragende

Frage als Muss zur Prozessbefriedigung

In gefühlt 50 % der Fälle kommt die Frage von Jemandem, den die Antwort zwar formal interessiert, sich real aber nicht in der Lage sieht, die Ursachen zu beseitigen.

In diesem Fall kommen neben dem eher gelangweilten Gesichtsausdruck eher weiterführende formale Fragen, einer Checkliste gleich. Kündigungstermin, Resturlaub, Themensammlung für den Lebenslauf, vielleicht noch die Frage, wo es denn hingeht – das sind die Punkte, die in der Regel von sogenannten1 Führungskräften kommen.

Natürlich kann man nicht alle Führungskräfte über einen Kamm scheren, es gibt auch Solche, die Fragen aus ehrlichem Interesse stellen.

Ein typischer Satz von Führungskräften2 ist Titel des Blogbeitrags, „Reisende soll man nicht aufhalten!“

Frage aus ehrlichem Interesse

Das ehrliche Interesse basiert aus meiner Erfahrung auf verschiedenen Gründen. Die Bandbreite reicht von Neugier bis hin zum Vergleich zur persönlichen Situation. Dass hierbei natürlich auch Überlegungen hinsichtlich alternativer Verhaltensweisen zur Verbesserung der eigenen Situation eine Rolle spielen, ist nachvollziehbar.

Hilfreich für die Organisation oder den Betroffenen ist das natürlich nicht und führt primär zum permanenten Wiederholen und somit Verfestigen der Vorstellungen beim Kündigenden, was rein psychisch durchaus problematisch werden kann.

Oftmals steht hinter der Frage nach Ursachen auch die Gewissheit, in der bestehenden Organisation sowieso nichts ändern zu können3.

Frage mit dem Ziel der Verbesserung im Unternehmen

Zielführend sollte schon die Frage mit der realistischen Option für Verbesserungen sein. Vom Fragenden erfordert das natürlich viel Kampfgeist und Durchsetzungswille innerhalb der Organisation. Und es hängt natürlich auch von der Machbarkeit und den Umsetzungsmöglichkeiten im Unternehmen ab, um aus dem Fragenden keinen Don Quixote zu machen.

Ursachenanalyse für eine Kündigung

Die Bandbreite von Gründen für das Verlassen der Firma ist sehr groß. Denkbar wären zum Beispiel:

Wertschätzung der Arbeit

Dass dieser Punkt als erster aufgeführt ist, kommt nicht von Ungefähr.

„Nicht geschimpft, ist genug gelobt!“, wird scheinbar von vielen Führungskräften als ausreichend im Sinne der Wertschätzung gesehen.

Nachdem die Führung von Mitarbeitern aber im Sinne der Flexibilität in fachlich und personell aufgeteilt wird, gilt auf einmal das Sprichwort: „Viele Köche verderben den Brei!“, indem also davon ausgegangen wird, dass der jeweils Andere schon für ausreichend Wertschätzung sorgen wird.

unklare Führungsstrukturen

Die bereits angesprochene Aufteilung in fachliche und personelle Führung bringt den Arbeitnehmer in eine durchaus problematische Situation.

Wem gegenüber soll man „loyal sein“? Wer hat das Sagen? Auf wessen Kostenstelle arbeite ich überhaupt?, sind Fragen, die vom Arbeitnehmer geklärt werden müssen. Von Führungskräften gibt es hierzu eher keine klaren Hinweise.

Das ganze Spiel geht ja auch im Sinne von Mitarbeitergesprächen weiter, wenn Beurteilungen von der einen oder anderen Seite ohne Beisein im Gespräch abgegeben werden, also Rückfragen oder vielleicht auch Rechtfertigungen gar nicht möglich sind.

Erkennen von Leistungen über die Norm hinaus

Gerade unklare Führungsstrukturen führen dazu, dass der Leistungsumfang des Mitarbeiters von Führungskräften nur noch schwer oder teilweise gar nicht mehr eingeschätzt werden kann!

Je nach Engagement des Mitarbeiters wird auch fachbereichsübergreifend gedacht und auch4 gearbeitet.

In Verbindung mit Wertschätzung ergibt sich in der Folge Frustration beim Arbeitnehmer.

Erkennen bzw. Abwürgen von Kreativität

Auch wenn gerade deutschen Unternehmen die Kreativität abgesprochen wird, bei den Mitarbeitern gibt es sie durchaus.

Die Mitarbeiter werden tagtäglich mit Problemen der eigenen Produkte, Prozesse und Methoden konfrontiert, woraus sich i.d.R. Ansätze für Kreativität ergeben.

Je nach Ausprägung von Querdenken und fachübergreifenden Ausprägungen, sind weiterführende Ideen bei Mitarbeitern zu erwarten.

Neue Ideen treffen aber auch auf Führungskräfte mit anderen Ausrichtungen und Wissensständen sowie firmenstrategischen Aspekten – in der Konsequenz zur Ablehnung oder dem Abwürgen – für den Ideengeber eine frustrierende Situation.

unter- oder überfordernde Aufgabenstellungen

Burnout und Boreout sind typische Argumente für eine Kündigung. Den jeweiligen Zustand zu erkennen, ist gewiss nicht einfach.

Allerdings sollte man sich auch als Arbeitgeber über die Tätigekeiten informieren, die man seinen Arbeitnehmern zumutet.

Es ist aus unternehmerischer Sicht durchaus eine Gradwanderung, auch unterfordernde Aufgaben aus strategischer Sicht von Kunden zu übernehmen. Allerdings sollte man diese Tätigkeiten mit Augenmaß betrachten, was eine permanente Kommunikation mit dem Arbeitnehmer voraussetzt.

fachfremde Aufgaben

Der Grad zwischen fachlichen Aufgaben und fachfremden Themen ist manchmal recht schmal und wird von Führungskräften oft auch gar nicht als Solcher gesehen.

Es fängt schon damit an, Fachleute mit „Sonderthemen“ wie Projektleitung zu betrauen oder eine übertrieben genaue Auflösung in der Stundenschreibung zu fordern.

Ingenieure müssen keine Projektleiter sein, das ist eine andere Ausrichtung der Tätigkeiten! Unternehmen kaufen aber ungern „echte“ Projektleiter und/oder Controller ein, weil sie der Meinung sind, dass ihre technischen Experten diese Aufgabe genausogut übernehmen können.

Das ist aber ein Trugschluss. Technik5, Management6, Controlling7 sind verschiedene Themenbereiche und sogar durch eigenständige Studienfächer abgedeckt!

fehlende Weiterbildungen und Schulungen

Ein passendes Weiterbildungs- und Schulungsangebot ist für Unternehmen m.E. extrem wichtig. Nicht nur, dass es dem Skillsmanagement dient, es führt zum Networking innerhalb der Firma, Erkennen der abgedeckten Themengebiete und Expertisen, Querdenken und auch Unterstützen von Kollegen.

Gerade interne Trainings führen so zu einem verstärkten Zusammenhalt innerhalb der Firma!

fehlende oder unrealistische Zielerreichungsplanungen

Eine der vermutlich sinnlosesten Methoden zur „Effizienzsteigerung“ von Angestellten und Führungskräften sind „Zielerreichungsplanungen“.

Es wird mit diesen Zielerreichungen davon ausgegangen, dass man ohne diese Ziele nicht 100 % Leistung abgibt. Was für ein Trugschluss.

Man vergibt also Ziele, die über den normalen Arbeitsumfang hinausgehen, schwer kontierbar und letztendlich nicht unbedingt für die Organisation förderlich sind, sondern lediglich vorgeschobene Interessen der Führungskräfte und deren persönlichen Zielerreichungen dienen.

Vergütung

Zwar sollte die Vergütung nicht die primäre Ursache für eine Kündigung sein. Allerdings vergisst man in Organisationen gern, dass die Gehaltsentwicklung nicht nur im Unternehmen, sondern auch beim Wettbewerb um Mitarbeiter weitergeht.

Ebenfalls wird auch gern vergessen, dass der Weggang von Mitarbeitern mit nicht unerheblichen Kosten8 verbunden ist. Ob sich dann Lohnsteigerungen über 1,5-3 % Inflationsausgleich nicht doch lohnen würden, wäre einfach mal durchzurechnen.

Conclusio

Das Wohlfühlen in einer Organisation beruht in meinen Augen auf drei Aspekten, die in einem fein austarierten Verhältnis stehen müssen:

Ego

Der Mensch ist zwar ein soziales Wesen, besitzt aber auch ein9 Ego. Dem muss Rechnung getragen werden.

Den Umfang des Egos beim Mitarbeiter einzuschätzen, ist eine schwierige, aber nicht unlösbare Aufgabe durch die Führungskräfte.

Für das Ego des Mitarbeiters wirksame Maßnahmen durch Führungskräfte können u.a. sein, Karriereziele, Aufgabenbereiche, Coachings, Schicken zu Messen, Kongressen u.s.w.

Soziales

Wir verbringen den Großteil unserer wachen Lebenszeit im Umkreis des Unternehmens. Eine gute soziale Einbindung in dieses System ist somit für das Wohlbefinden essenziell.

Gernau hier ist durchaus eine gewisse Schwierigkeit, weil es u.a. durch Umstellungen von Teams, aber auch Fluktuation sowie firmenstrategische Ziele beeinflusst wird, wer mit wem wann und wie zusammenarbeiten muss, was letztlich die soziale Einbindung des Arbeitnehmers ins Unternehmen tangiert.

Monetäres

Gehalt in Form von festem und variablem Anteil sowie Goodies in welcher Weise auch immer, ist sicher ein durchaus gewichtiger Aspekt für den Arbeitnehmer.

Das aus der Tätigkeit gernerierte Einkommen sollte in einem vernünftigen Verhältnis zu Umfang und Verantwortung stehen, wobei natürlich die äußeren Bedingungen wie Einkommen in vergleichbaren Positionen bei Kunden/Auftraggebern oder Wettbewerbern durchaus eine Rolle spielen.

Grundbedürfnisse und -bedarfe10 was Gehalt betrifft, dürfen vom Arbeitgeber nicht einfach vom Tisch gewischt werden.

Dabei darf man aber auch das Einkommen nicht überbewerten.

Es ist das Zusammenspiel der benannten Aspekte, Ego, Soziales und Gehalt, was den Mitarbeiter zum Verbleib im Unternehmen veranlasst. Defizite auf einem Aspekt können durch erhöhte Ausprägungen der anderen Aspekte durchaus ausgeglichen werden.

Führung bedeutet Feingefühl, dieses Gleichgewicht herzustellen und aufrecht zu erhalten.

Die Ursachen für Kündigungen sind durchaus vielfältig, was dieser Blogbeitrag aufzeigen soll. Und ja, diese Ursachen sind nicht wirklich „fiktiv“.

Vielleicht geben die aufgeführten Argumente für den Einen oder Anderen zu Denken. Dann kommen vielleicht Entscheidungen von Mitarbeitern  nicht mehr „überraschend“ oder können bereits im Vorfeld vermieden werden.

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