In den letzten Wochen haben Hausdurchsuchungen bei mutmaßlichen Tätern von Hasskriminalität für erheblichen Wirbel in der öffentlichen Debatte gesorgt. Die Ermittlungsbehörden gehen verstärkt gegen Menschen vor, die im digitalen oder realen Raum Straftaten mit vorurteilsgeleiteten Motiven begehen. Doch während die juristische Aufarbeitung solcher Fälle wichtig ist, wirft sie zugleich eine unbequeme Frage auf: Inwieweit trägt die Politik selbst zur Entstehung und Verbreitung von Hate Crime bei? Ein Blick auf die aktuelle politische Landschaft in Deutschland zeigt besorgniserregende Tendenzen einer zunehmenden Verrohung der politischen Auseinandersetzung.
Was ist Hate Crime? Definition und gesellschaftliche Bedeutung
Hasskriminalität (im Englischen „hate crime“) bezeichnet Straftaten, bei denen das Opfer vom Täter vorsätzlich nach dem Kriterium der wirklichen oder vermuteten Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe gewählt wird4. Dabei richtet sich die Tat gegen die gewählte Gruppe als Ganze. Es können beispielsweise antisemitisch, islamfeindlich, christenfeindlich, rassistisch, sexistisch, ausländer- oder queerfeindlich motivierte Straftaten unter den Begriff fallen, ebenso Straftaten gegen Obdachlose und Menschen mit Behinderung4.
Der Begriff stammt aus der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und hat in verschiedenen Ländern der Welt eigenständige strafrechtliche Relevanz4. Interessanterweise wird in der amerikanischen Fachdebatte häufig der präzisere Begriff „bias crime“ (vorurteilsgeleitete Straftat) verwendet, da das Vorurteil und nicht zwingend der Hass das leitende Motiv der Handlungen darstellt4. Dennoch hat sich der Begriff „hate crime“ in den Medien und der öffentlichen Diskussion weitgehend durchgesetzt.
Ein zentraler Aspekt: Hate Crimes sind „Botschaftsverbrechen“2. Das bedeutet, mit der Tat wird nicht nur eine konkrete Person getroffen, sondern eine Botschaft an eine ganze Gruppe gesendet. Diese Botschaft lautet: „Das Opfer ist nicht willkommen, ebenso wenig wie die Mitglieder der Gruppe, zu der das Opfer gehört“2. Dadurch entfalten solche Taten einen terrorisierenden Effekt, der weit über das individuelle Opfer hinausgeht und ganze Bevölkerungsgruppen einschüchtert und verunsichert.
Politik als Katalysator: Die Sprache der Feindbilder
Die Sprache der Politik prägt maßgeblich den gesellschaftlichen Diskurs. Wenn politische Akteure aggressive Rhetorikmuster verwenden, Feindbilder aufbauen und polarisierende Narrative verbreiten, kann dies zur Legitimierung von Hass und Gewalt in der Gesellschaft beitragen. Bundesjustizminister Marco Buschmann spricht in diesem Zusammenhang von einer „allgemeinen Verrohung der politischen Auseinandersetzung“5. Nach Jahren der Polarisierung hätten sich aggressive Feindbilder von Politik durchgesetzt, was mit einem gestiegenen Misstrauen einhergehe.
Ein bekanntes Beispiel ist die Äußerung des AfD-Politikers Alexander Gauland über die damalige Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz aus dem Jahr 2017. Gauland sagte damals: „Ladet sie mal ins Eichsfeld ein, und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können“3. Diese Aussage löste eine breite Debatte über Hassrede und sprachliche Gewalt im politischen Kontext aus.
Aus linguistischer Perspektive haben wir es bei solchen Äußerungen mit sprachlicher Gewalt zu tun3. Solche Sprachmuster sind keineswegs nur rhetorische Stilmittel, sondern haben reale Auswirkungen: Sie dehumanisieren politische Gegner, legitimieren Ausgrenzung und können letztlich ein gesellschaftliches Klima schaffen, in dem tatsächliche Gewalt gegen Andersdenkende als gerechtfertigt erscheint.
Die Ausbreitung problematischer Rhetorik – von den Rändern in die Mitte
Während problematische Rhetorik lange Zeit vor allem mit Parteien am rechten Rand, insbesondere der AfD, assoziiert wurde, lässt sich eine zunehmende Verbreitung solcher Sprachmuster auch in der politischen Mitte beobachten. Auch in Teilen der CDU/CSU ist eine Verschärfung der Rhetorik festzustellen, was Fragen nach der Verantwortung etablierter Parteien für das politische Klima aufwirft.
Gleichzeitig nimmt die tatsächliche Gewalt gegen politisch engagierte Menschen zu. Der Fall des sächsischen SPD-Spitzenkandidaten Matthias Ecke, der Opfer eines brutalen Angriffs wurde, hat die Problematik der Gewalt gegen Politiker erneut in den Fokus gerückt5. Die Innenminister von Bund und Ländern trafen sich daraufhin zu einer Videokonferenz und forderten eine Prüfung, ob „das spezifische Unrecht, das in dem demokratiegefährdenden Umstand solcher Angriffe zu sehen ist“ im Strafrecht ausreichend abgebildet sei5.
Wie umgehen mit politisch motivierter Hasskriminalität?
Die Frage, wie man mit politisch motivierter Hasskriminalität umgehen sollte, ist komplex. Bundesjustizminister Buschmann zeigt sich skeptisch, dass härtere Strafen allein die zunehmende Aggression gegen Politiker eindämmen können: „Der Versuch, das gesellschaftliche Problem einer allgemeinen Verrohung der politischen Auseinandersetzung mit dem Strafrecht allein zu lösen, wird scheitern“5.
Tatsächlich sprechen mehrere Gründe gegen eine rein strafrechtliche Herangehensweise. Kritiker sehen in der stärkeren Betonung der Motivation des Täters ein potenzielles Abgleiten in ein Gesinnungsstrafrecht4. Zudem ist fraglich, ob die Androhung eines erhöhten Strafrahmens entsprechende Taten tatsächlich verhindern kann – insbesondere bei jugendlichen Tätern würde dies dem Erziehungsgedanken widersprechen und könnte zu erhöhten Ausgrenzungs- und Desintegrationserfahrungen führen4.
Mehrdimensionale Ansätze statt einfacher Lösungen
Stattdessen scheint ein mehrdimensionaler Ansatz notwendig, der verschiedene gesellschaftliche Ebenen adressiert:
-
Präventive Maßnahmen: Bildungsarbeit, die Vorurteile abbaut und demokratische Werte stärkt
-
Mediale Verantwortung: Reflektierter Umgang mit polarisierenden Themen
-
Politische Selbstverpflichtung: Etablierung von Verhaltenskodizes für den politischen Diskurs
-
Zivilgesellschaftliche Initiativen: Stärkung von Projekten gegen Hass und Hetze
Ein wichtiger Bestandteil wäre auch die Sensibilisierung der Polizei und Justiz. Zur Erkennung und Behandlung von Hate Crimes ist es erforderlich, neben den Gerichten auch die Polizei speziell zu schulen4. In Deutschland wurde in diesem Zusammenhang mit Wirkung vom 1. Januar 2001 vereinbart, rechtsextremistisch orientierte Straftaten als „politisch motivierte Kriminalität“ zu erfassen und in diesem Rahmen auch eine Erfassungsmöglichkeit unter dem Oberbegriff „Hasskriminalität“ zu schaffen4.
Der rechtliche Rahmen in Deutschland
Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern kennt das deutsche Strafrecht keine gesondert als Hassdelikte zu qualifizierenden Straftaten4. Die Bundesregierung definiert Hasskriminalität jedoch als politisch motivierte Straftaten, deren zu vermutendes Motiv beim Täter in der „politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung, äußeren Erscheinungsbild oder gesellschaftlichen Status“ des Opfers begründet ist4.
Die Begriffsdefinition kann in Deutschland nur indirekt Relevanz in der Rechtsprechung annehmen, wenn sie teilweise oder gänzlich zur Klassifizierung einer Straftat nach bestimmten Merkmalen herangezogen wird, beispielsweise zur Feststellung der besonderen Schwere der Schuld oder der niedrigen Beweggründe bei Mord4.
Fazit: Verantwortung für den demokratischen Diskurs
Die Bekämpfung von Hate Crime erfordert einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz, bei dem der Politik eine besondere Vorbildfunktion zukommt. Politische Akteure müssen sich ihrer Verantwortung für den öffentlichen Diskurs bewusst sein und durch eine respektvolle Debattenkultur zur Deeskalation beitragen.
Die aktuelle Zunahme von verbaler und physischer Gewalt gegen Politiker und andere Personengruppen ist alarmierend. Sie ist Symptom einer gesellschaftlichen Entwicklung, bei der die Grenzen des Sagbaren und Machbaren kontinuierlich verschoben werden. Als Gesellschaft stehen wir vor der Herausforderung, dieser Entwicklung entgegenzuwirken und eine Kultur des Respekts und der demokratischen Auseinandersetzung zu fördern.
Der Umgang mit Hate Crime ist letztlich ein Gradmesser für die Widerstandsfähigkeit unserer Demokratie. Es geht nicht nur um einzelne Straftaten, sondern um die grundlegende Frage, wie wir als Gesellschaft mit Differenz und Konflikten umgehen wollen. Die Politik kann und muss hier eine Vorreiterrolle einnehmen – nicht durch symbolische Strafrechtsverschärfungen, sondern durch die Wiederherstellung einer demokratischen Streitkultur, die ohne Feindbilder und Dehumanisierung auskommt.
Quellen:
- https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/206018/rechtsextremismus-und-hate-crime-gesetze/
- https://journal.km-k.at/de/posts/hate-speech-aggression-und-intimit%C3%A4t/sprachliche-gewalt-in-%C3%B6ffentlich-politischen-diskursen-formen-ebenen-und-funktionen/
- https://de.wikipedia.org/wiki/Hasskriminalit%C3%A4t
- https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/buschmann-gewalt-gegen-politiker-100.html
- https://www.osce.org/files/f/documents/c/7/36431.pdf
- https://www.kriminalpraevention.de/infoangebote-des-dfk/publikationen/dfk-publikationen.html?file=files%2FDFK%2Fdfk-publikationen%2F8_2003_tagungsband_zum_symposium.pdf
- https://www.bmj.gv.at/themen/Fokusthemen/Hasskriminalit%C3%A4t.html
- https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/forschungsprojekte/DE/RG_Moegl_eff_Strafverfolg_Hasskriminalitaet.html
- https://www.bundestag.de/resource/blob/192374/0d97067cfb4091dd3ccadcba87a1470c/hasskriminalitaet-data.pdf
- https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/PMKrechts/PMKrechts_node.html
- https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/schwerpunkte/DE/hasskriminalitaet/schwerpunkt-hasskriminalitaet.html
- https://www.bmi.gv.at/408/Projekt/start.aspx
- https://www.muenchen-gegen-hass.de/was-ist-hate-crime