a number of owls are sitting on a wire

Zeit: Bürger zweiter Klasse – Migranten und Ossis?

Als „Betroffener“ oder sollte man besser „Zielgruppe“ sagen, fällt einem der Zeit-Artikel natürlich sofort ins Auge.

Eigentlich weiß ich nicht, ob ich darüber lachen oder weinen sollte, wenn Ossis und Migranten in eine Schublade gesteckt werden.

Ganz so einfach ist es meines Erachtens nicht, die benannten Personengruppen über einen Kamm zu scheren.

Lebensmittelpunkt

Eine gravierenden Unterschied macht es so z.B., wo man seinen Lebensmittelpunkt hat, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR oder „im Westen“.

Ich selbst lebe mittlerweile seit 2002 im „gelobten Land“, also Bayern und fühle mich durchaus nicht benachteiligt. Vorteil für mich ist vielleicht, dass man mir meine Herkunft nicht „anhört“. Allerdings habe ich auch relativ schnell einen Fakt in mein Leben eingebaut – der Lebensmittelpunkt ist mein Wohnort, nicht die alte Heimat und auch nicht die Autobahn dazwischen.

Letzteres ist ein relativ typisches Verhalten von Landsleuten, die ich so im Westen erlebe. Integration wird zur Nebensache, weil die Lebensausrichtung immer noch an der alten Heimat hängt.

Betrachtet man die Lebensumstände im Osten – soweit das realistisch von meiner Position aus überhaupt möglich ist – sieht man leider geringere Perspektiven für die Bevölkerung, was interessante Jobs angeht.

Natürlich gibt es in Zentren wie Leipzig, Dresden oder Berlin durchaus faszinierende Arbeit, tummeln sich doch Großkonzerne wie BMW, Infineon & Co. in diesen neuen Wirtschaftsräumen. Das Gros jedoch scheint nach wie vor benachteiligt. Dafür gibt es aber auch Gründe.

Emanzipation

Nein, es geht nicht um Frauenrechte. Es geht darum, dass man sich (zumindest gefühlt) noch nicht als Teil der Bundesrepublik integriert und somit emanzipiert hat. „Die da im Westen…“ und ähnliche Redewendungen haben sich nicht nur im Sprachgebrauch sondern – und das ist das Schlimme – im Mindset eingebrannt.

Nein, es muss nicht sein, dass man „hinten angehängt“ wird, man kann der Schublade durchaus entfliehen – und zwar durch Phantasie!

Ich vermisse eine gewisse Aggressivität bei gleichzeitiger Pfiffigkeit in der Werbung für ostdeutsche Produkte, Phantasie in der Auslegung von Wirtschaftsinteressen, fehlenden Bestandsschutz für bestehende Einrichtungen u.s.w.

Liebe Landsleute, im Gegensatz zu den Migranten kommen wir zwar aus einer Diktatur, aber nicht aus echten Krisengebieten. Es flogen (Gott sei Dank) keine Kugeln über unsere Köpfe, Hunger war und ist uns bei Licht gesehen fremd. Die Märkte sind voll von Produkten, die Köpfe voll Jammerei.

Die alte BRD hatte Vorteile im Aufbau der Wirtschaft, das mag sein – den Marshallplan gibt es bald 70 Jahre schon nicht mehr. Nutzt doch endlich das Kapital an Grund und Boden, Verkehrsanbindungen und vor allem den Menschen in intelligenter Weise, ohne sich aufzugeben oder zu verkaufen.

Migranten

Ob nun aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen – das Aufgeben der Heimat und eines Großteils des Besitzes erfordert wahnsinnig viel Mut. Den Neustart in einer neuen Welt mit komplett anderen politischen, sozialen und auch religiösen Ansichten ist eine Leistung, die wir Deutsche, die wir hier in der Bundesrepublik leben, in der Regel nicht leisten müssen. Egal wie gut diese Migration letztendlich gelingt, sie verdient einen großen Respekt den Menschen gegenüber, die viel aufgegeben haben.

Als Ossi mit Migranten in eine Schublade gesteckt zu werden, ist also gewissermaßen sogar ein Upgrade, dass wir so nicht wirklich verdient haben. So viel Leid, Verlust und Missachtung musste vermutlich kaum einer meiner Landsleute ertragen.

Lernen wir also, unsere „Krone“ aufrecht zu tragen, den Blick nach vorne zu richten ohne das Vergangene zu vergessen. Geschichte sollte Lehrbuch, aber nicht Wegweiser sein, wie es im Moment en vogue zu sein scheint. Benutzt endlich die Kreativität und den Mutterwitz, die vor der Wende euer Überleben gesichert hat.

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