a number of owls are sitting on a wire

Konventionen – Kitt oder Keil der Gesellschaft?

Vor geraumer Zeit kam es zu einer Diskussion, die in der Frage mündete, wie Konventionen in einer Gesellschaft zu sehen sind, als Kitt oder Keil.

Eigentlich ist das doch eine kuriose Frage, oder? Nicht unbedingt, wenn man sich den Charakter von Konventionen anschaut.

Konventionen

„conventio“ ist die Übereinkunft oder Zusammenkunft. Stellt man isch die Frage, welche Übereinkunft gemeint ist und zwischen welchen Parteien, kommt man der o.g. Frage schon ein Stück näher.

Die Übereinkunft stellt ein gemeinsames Regelwerk im Zusammenleben auf. Das ist von der Gesellschaft abhängig, von der Schicht in der man sich bewegt, von der Zeit in der man agiert oder daraus rezitiert.

Jede Zeit, Geografie, jede Gruppe hat ihre eigenen Konventionen. Welches Regelwerk man gerade verletzt, merkt man besonders schön, wenn man im Ausland unterwegs ist, oder sich außerhalb der eigenen Schicht bewegt.

Kitt

Das Regelwerk befreit uns vom Stress, sich jeder Person gegenüber individuell erklären zu müssen, Konventionen aufbauen zu müssen, um ein gemeinsames Verständnis über den Umgang miteinander zu erlangen.

Konventionen sind praktisch, verkürzen sie doch die Kommunikation zwischen den Menschen auf die Inhalte. Das teilweise nonverbale Protokoll besteht ja bereits.

In der Funktion als Protokoll, was der Sender- und Empfängerseite der Kommunikation in Fleisch und Blut übergegangen ist und intiuitiv beherrscht wird, wirkt also zunächst als Kitt.

Kittend ist die Reduktion von Konfliktpotential durch Vermeidung von Missverständnissen durch ein gemeinsames Protokoll.

Keil

Korrekt ist aber auch, dass ich nirgends meine Zustimmung zur Konvention abgegeben habe, genauso wie man eine Familienzugehörigkeit oder eine Religion ohne persönliches Zutun ererbt. Die Zustimmung zu den Konventionen wird also stillschweigend vorausgesetzt. Und hier kann die Sache durchaus schwierig werden.

Konventionen setzen auf ein gemeinsames Verständnis für Höflichkeit, für Hierarchien, für Zeit- und Taktgefühl. Sie wirken als Dämpfer für allzu heftige Emotionen, als Barriere vor dem Überschreiten persönlicher Grenzen. Was also, wenn mir diese Grenzen und Barrieren unpraktisch oder widersinnig erscheinen?

Die Konventionen egalisieren das Verhalten in der Kommunikation, was dem persönlichen Empfinden möglicherweise komplett entgegen steht. So können Konventionen verhindern, dass über bestimmte Sachverhalte nur in bestimmter Weise diskutiert wird, Zurückhaltung gepflegt und Konsenzerreichung angestrebt wird.

Auch Religionen prägen auf ihre ganz eigene Weise die Konventionen. Zwar streben sie im Allgemeinen Toleranz an, mehr oder weniger unterschwellig wird aber auch Abgrenzung in das Paket der Konventionen aufgenommen.

Das Konzept der Konventionen beginnt sich allmählich zu einem Moloch aufzublähen, der mehrere Probleme mitsich bringt. Die schiere Menge an ungeschriebenen Vorgaben macht Regelverstöße zum Glücksspiel, ermüdet aber auch beim Versuch, das Regelwerk zu erlernen. Weiterhin führen Unmengen an Vorgaben zu Widersprüchen, die schwer aufzulösen sind.

Gerade in der aktuellen Zeit haben Konventionen gewisse Extreme erlangt. Der Wunsch nach Konsenz geht über die Vernunft hinaus, Falschaussagen als Meinungsfreiheit toleriert. Die Folgen sind dramatisch. QAnon, „Querdenker“, Radikale nutzen die umgestalteten Konventionen als Bestätigung für die Rechtschaffenheit ihres Handelns.

Das Ausbrechen aus der Egalität wird nicht nur mehr als unkonventionell empfunden, sondern auch gleich in die Kritik genommen. Insofern sind Konventionen ein Keil in unserer Gesellschaft, den wir noch gar nicht in seiner Wirkung abschätzen und beurteilen können.

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