Die Welt liebt Optimierungen. Von effizienteren Produktionsprozessen über Kostenreduktionen bis hin zu optimierten Algorithmen scheint alles darauf ausgerichtet, „noch ein bisschen mehr“ herauszuholen. Doch was passiert, wenn Optimierung nicht mehr die Antwort ist?
Diese Frage stellt sich besonders, wenn künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel kommt – ein Thema, das mir beim Schreiben meines nächsten Buches „Artificial Intelligence for Safety-Critical Automotive Applications“ begegnet ist.
Optimierung als wirtschaftliches Paradoxon
Jede Optimierung kostet. Das ist die unausweichliche Wahrheit. Ob durch den Einsatz neuer Technologien, die Schulung von Mitarbeitern oder die Beauftragung externer Berater – die initialen Investitionen können erheblich sein. Doch die Kosten allein zu betrachten, greift zu kurz. Es geht auch um Zeit, Aufwand und den Einfluss auf bestehende Prozesse, die möglicherweise während der Optimierungsphase unterbrochen oder ineffizienter werden.
Insbesondere bei der Einführung von KI-Systemen können die Anfangsinvestitionen wie die Implementierung hochkomplexer Modelle oder der Aufbau einer passenden Infrastruktur einen erheblichen Anteil der verfügbaren Ressourcen beanspruchen.
Hier stellt sich die zentrale Frage: Wann wird Optimierung profitabel?
Der Break-even-Punkt, also der Zeitpunkt, an dem die Einsparungen oder Effizienzgewinne die anfänglichen Kosten ausgleichen, ist oft ein bewegliches Ziel. In idealen Szenarien kann er mithilfe von umfangreichen Datenanalysen und detaillierten Business Cases genau kalkuliert werden – eine Praxis, die vor allem in großen Unternehmen etabliert ist. Doch selbst dort kann der Break-even durch unvorhergesehene Faktoren wie Marktveränderungen, unerwartete Kosten oder ineffiziente Implementierungen verschoben werden.
Traditionelle Ansätze zur Optimierungsplanung berücksichtigen meist eine begrenzte Anzahl an Variablen, die sich aus bekannten Geschäftsprozessen und langjähriger Erfahrung ergeben. Mit der Einführung von KI-Systemen wird diese Herangehensweise jedoch auf den Kopf gestellt. KI bringt neue Variablen ins Spiel, die bisher oft nicht oder nur schwer messbar waren. Dynamische Faktoren wie Echtzeit-Datenströme, Vorhersagemodelle oder selbstlernende Algorithmen verändern die Basis der Kalkulationen. Gleichzeitig erhöht sich die Komplexität: Entscheidungen müssen nun auch mögliche Verzerrungen durch KI-Modelle, Datenqualität und die langfristigen Auswirkungen automatisierter Entscheidungen einbeziehen. Diese neuen Parameter machen klassische Ansätze zur Einschätzung des Break-even-Punkts zunehmend unzureichend.
Aber wer übernimmt die Verantwortung, wenn die erwarteten Einsparungen nicht eintreten? Liegt es an einer fehlerhaften Einschätzung des Optimierungspotenzials? Hier stellt sich die Frage nach der realistischen Planung: Wer bewertet, was wirklich möglich ist? Häufig spielen externe Berater oder interne Spezialisten eine entscheidende Rolle bei der Einschätzung. Doch diese Prognosen können optimistisch verzerrt sein, um Projekte zu rechtfertigen – oder auf einer zu engen Datenbasis beruhen, die das tatsächliche Optimierungspotenzial nicht widerspiegelt.
Auch externe Faktoren wie politische Entscheidungen, neue regulatorische Vorgaben oder sich ändernde Marktbedingungen können dazu führen, dass ursprüngliche Annahmen Makulatur werden. Die Realität zeigt: Selbst die beste Planung schützt nicht vor unvorhergesehenen Entwicklungen. Genau hier offenbart sich die Notwendigkeit, Optimierungsprojekte kontinuierlich zu hinterfragen und flexibel an neue Gegebenheiten anzupassen.
Verborgene Kosten: Die Schattenseite der Optimierung
Während die direkten Kosten einer Optimierung häufig offensichtlich sind, bleiben die versteckten Kosten oft unbeachtet. Gerade beim Einsatz von KI ergeben sich diverse Herausforderungen:
- KI-Preise und Infrastruktur: Hochentwickelte Modelle erfordern enorme Rechenressourcen und spezialisierte Hardware. Cloud-Services, die skalierbar und flexibel sind, werden schnell zu laufenden Fixkosten.
- Know-how-Bildung: Mitarbeitende müssen geschult werden, um neue Prozesse zu verstehen und umzusetzen. Dies gilt auch für das Management, das nicht selten erhebliche Zeit aufwenden muss, um die Technologien und ihre Auswirkungen zu verstehen.
- Stakeholder-Management: Der Überzeugungsaufwand gegenüber Stakeholdern – von internen Teams bis hin zu Shareholdern – ist oft höher als gedacht. Ein wesentlicher Punkt ist dabei, die oft divergierenden Erwartungshaltungen und die realistische Abschätzung von Risiken auszubalancieren. Während einige Stakeholder schnelle und signifikante Einsparungen erwarten, neigen andere möglicherweise dazu, Risiken wie technische Fehlentwicklungen oder Marktschwankungen zu unterschätzen. Hier gilt es, diese Perspektiven gezielt „auszunivellieren“ – also eine gemeinsame, realistische Basis zu schaffen, die sowohl Potenziale als auch Fallstricke offen kommuniziert. Diese Balance ist entscheidend, um unrealistische Erwartungen zu vermeiden und das Vertrauen in das Projekt aufrechtzuerhalten.
Das Stakeholder-Management wird so zu einem kritischen Erfolgsfaktor, da es nicht nur darum geht, Zustimmung zu gewinnen, sondern auch sicherzustellen, dass alle Beteiligten ein fundiertes Verständnis der zugrunde liegenden Dynamiken entwickeln.
Boni und Verursacherprinzip
Ein interessantes, oft übersehenes Thema ist die Verteilung von Belohnungen. Wer profitiert von den Optimierungen? Sollten externe Dienstleister Boni erhalten, wenn ihre Lösungen Einsparungen generieren? Und wie passt das mit dem Verursacherprinzip zusammen? Hier zeigt sich eine Grundsatzfrage: Sollte der Fokus mehr auf interner Innovationsförderung oder externen Impulsen liegen?
Zudem stellt sich die Frage, ob bestehende Geschäftsmodelle externer Dienstleister für diese neuen Anforderungen ausreichend sind oder ob sie angepasst werden müssen. Klassische Modelle, bei denen Dienstleister eine Pauschalvergütung oder stundenspezifische Abrechnung erhalten, stehen zunehmend auf dem Prüfstand.
In einem Umfeld, das stark von KI-gestützten Optimierungen geprägt ist, könnten erfolgsbasierte Vergütungsmodelle – etwa prozentuale Beteiligungen an Einsparungen oder Performance-Verbesserungen – eine neue Dynamik schaffen. Solche Ansätze setzen jedoch voraus, dass Erfolge eindeutig messbar und den Maßnahmen der Dienstleister klar zuordenbar sind, was in der Praxis oft schwierig ist.
Gleichzeitig könnte der Wandel hin zu langfristigen Partnerschaften, in denen Dienstleister nicht nur als Anbieter, sondern auch als strategische Berater auftreten, neue Geschäftsmodelle erfordern. Diese müssten stärker auf gemeinsame Zielsetzungen und geteilte Verantwortung zwischen Kunden und Dienstleistern ausgerichtet sein. Die Herausforderung liegt darin, ein Gleichgewicht zwischen kurzfristigen Gewinnen und nachhaltiger Wertschöpfung zu schaffen – ein Aspekt, der nicht nur ökonomisch, sondern auch ethisch diskutiert werden muss.
Opportunitätskosten und Überoptimierung
Nicht jede Optimierung ist sinnvoll. Während viele Unternehmen den Fokus auf Effizienzsteigerung und Kostensenkung legen, bleibt oft ein zentraler Aspekt unbeachtet: die Opportunitätskosten. Diese bezeichnen die Kosten der entgangenen Alternativen, also den Wert dessen, was hätte erreicht werden können, wenn die Ressourcen anderweitig eingesetzt worden wären. Diese Kosten sind schwer messbar, aber von entscheidender Bedeutung. Jede Stunde, jeder Euro, der in die Optimierung bestehender Prozesse fließt, fehlt für andere strategische Initiativen, wie die Erschließung neuer Märkte, die Entwicklung innovativer Produkte oder die Verbesserung der Unternehmenskultur.
Das Risiko dabei ist, dass Optimierung zum Selbstzweck wird – ein Zustand, in dem Organisationen sich ausschließlich auf die Perfektionierung des Bestehenden konzentrieren und dabei die Flexibilität verlieren, auf unvorhergesehene Herausforderungen zu reagieren. Eine solche Überoptimierung kann nicht nur dazu führen, dass Systeme starrer und damit störanfälliger werden, sondern auch, dass der Blick für das große Ganze verloren geht. Wenn jeder Prozess, jede Struktur bis ins letzte Detail perfektioniert ist, fehlt oft die Fähigkeit, schnell und kreativ auf sich ändernde Marktbedingungen zu reagieren. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Just-in-Time-Produktion, die zwar effizient ist, aber in Krisenzeiten durch Lieferengpässe schnell an ihre Grenzen stößt.
Optimierung könnte so zum Perpetuum Mobile innerhalb einer Organisation werden – eine endlose Schleife, in der jeder Verbesserungsschritt neue Anforderungen an nachgelagerte Prozesse erzeugt. Dieses Streben nach immer weitergehender Perfektion kann dazu führen, dass Unternehmen sich in einer Spirale von ständigen Anpassungen und Feintuning verlieren, ohne dabei den eigentlichen Mehrwert im Blick zu behalten. Paradoxerweise erhöht das die Komplexität und schafft neue Herausforderungen, die wiederum weitere Optimierungen erforderlich machen.
Gleichzeitig kann Optimierung zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Wenn Führungskräfte und Teams fest davon überzeugt sind, dass jede weitere Optimierung notwendig ist und enorme Vorteile bringt, werden Maßnahmen oft nicht mehr kritisch hinterfragt. Erfolg oder Scheitern wird nicht an objektiven Kriterien gemessen, sondern daran, ob die ursprünglichen Optimierungsziele bestätigt werden – auch wenn diese im Nachhinein angepasst oder relativiert werden müssen. Dies kann zu einer Kultur führen, in der die Optimierung selbst wichtiger wird als das Ergebnis, das sie eigentlich liefern soll.
Die zentrale Frage lautet: Was kommt danach? Sobald der Punkt erreicht ist, an dem weitere Optimierungen keinen spürbaren Mehrwert mehr bieten – das „Ende der Fahnenstange“ –, wird es essenziell, den Blick auf die Zukunft zu richten. Hier können Kreativität und Innovation wieder in den Vordergrund rücken. Statt die letzte Perfektionierung anzustreben, könnten Unternehmen neue Paradigmen erkunden, wie etwa die Entwicklung disruptiver Geschäftsmodelle, die Nutzung unkonventioneller Technologien oder die Gestaltung völlig neuer Wertschöpfungsketten.
Eine Rückbesinnung auf Visionen und mutige Experimente könnte die nächste Phase des Wachstums einleiten. Doch dafür ist es notwendig, eine Unternehmenskultur zu fördern, die nicht nur auf Effizienz, sondern auch auf Exploration setzt – eine Kultur, die es erlaubt, Fehler zu machen und Risiken einzugehen, um langfristig echte Durchbrüche zu erzielen. Denn wahre Innovation entsteht nicht durch das Ausreizen von Effizienzpotenzialen, sondern durch das Denken jenseits etablierter Grenzen.