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Barrabas und die Macht der Masse: Ein Mythos jenseits von Moral

Die Geschichte von Barrabas im Neuen Testament ist ein eindrucksvolles Symbol dafür, dass Entscheidungen der Masse nicht zwangsläufig logisch oder moralisch begründet sein müssen. Pilatus, der römische Statthalter, bot dem versammelten Volk die Wahl: Er solle entweder den „Messias“ Jesus freilassen oder Barrabas, einen verurteilten Aufrührer und Mörder. Das Volk entschied sich überraschend für Barrabas und forderte die Kreuzigung Jesu. Dieses Geschehen zeigt die Macht und den manchmal irrationalen, unmoralischen Druck der Masse auf politische und soziale Entscheidungen.

Diese Szene spielt sich im Kontext des jüdischen Passahfestes ab, einer Zeit großer politischer und sozialer Spannungen in Judäa. Barrabas, so berichten die Evangelien, war ein „berüchtigter Gefangener“, der wegen Aufruhrs und Mord verhaftet war. Er galt als Rebellenführer und Feind der römischen Besatzungsmacht. Im Gegensatz dazu stand Jesus, der als Prediger der Nächstenliebe und des Friedens auftrat und von Pilatus nach eingehender Untersuchung als unschuldig befunden wurde. Trotz dessen wurden die Menschenmassen von den jüdischen Hohenpriestern dazu angestachelt, die Freilassung von Barrabas und die Verurteilung Jesu zu verlangen. Pilatus selbst stellte die Wahl vor das Volk, bewusst oder unbewusst eine moralische Erpressung, die das Leiden Jesu besiegelte.

Interessant dabei ist, dass Pilatus, obwohl er Jesus für unschuldig hält, dem Druck der Menge nachgibt und sich damit von der Verantwortung freispricht, indem er sich symbolisch die Hände wäscht. Dieses Handeln verdeutlicht die Dynamik zwischen politischer Macht, öffentlichem Druck und moralischer Verantwortung. Die Menge ruft sogar aus, dass die Schuld an Jesu Tod auf sie und ihre Nachkommen kommen solle, ein Ausdruck einer kollektiven Entscheidung, die schwerwiegende historische Folgen nach sich zog.

Die Barrabas-Geschichte zeigt exemplarisch, wie kollektive Entscheidungen durch Emotionalität, Manipulation und Gruppendruck geprägt sind. Die Masse trifft nicht immer rationale oder gerechte Urteile, sondern folgt oft sozialen und politischen Erwartungen, die nicht notwendigerweise gerechtfertigt sind. Dieses Phänomen wiederholt sich immer wieder in der Geschichte und bildet die Grundlage für den Begriff des „Barrabas-Mythos“ als Symbol für die Macht der Masse, die jenseits von Moral und Logik agiert.

Die Geschichte von Barrabas im Neuen Testament

Barrabas war ein bekannter Aufrührer, der wegen Mordes und Aufruhrs im Gefängnis saß. Jesus dagegen galt als predigender Messias, der Gewalt ablehnte und stattdessen für Vergebung und Nächstenliebe eintrat. Pontius Pilatus stellte der Menge die Wahl zwischen den beiden zur Freilassung, was zum bezeichnenden Ergebnis führte: Die Menge forderte die Freilassung von Barrabas und die Kreuzigung Jesu. Das Matthäus- sowie das Markusevangelium schildern diese Entscheidung als von den führenden Priestern beeinflusst und von einer Masse getrieben, die nicht nach Gerechtigkeit, sondern Emotion und Gruppendruck handelte.

Die Hintergründe dieser Wahl sind tief in der politischen und sozialen Lage der Zeit verwurzelt. Barrabas war kein gewöhnlicher Gefangener, sondern ein als gefährlich bekannter Aufrührer, der im Rahmen eines Aufstands gegen die römische Besatzung zudem eines Mordes schuldig war. Im Gegensatz dazu stand Jesus von Nazareth, der als friedfertiger Prediger und Messias galt, der Gewalt strikt ablehnte.

Aus der Perspektive des römischen Statthalters Pontius Pilatus handelte es sich bei der jährlichen Passa-Amnestie um eine Geste, mit der man das jüdische Volk entlasten und die öffentliche Ordnung wahren wollte. Indem er dem Volk die Wahl zwischen Jesus und Barrabas ließ, hoffte Pilatus, Jesus auf elegante Weise freizubekommen. Seine Erwartung war, dass die Menge den friedfertigen Jesus und nicht den gewalttätigen Barrabas wählen würde.

Doch Pilatus täuschte sich. Die Entscheidung der Menge zeigte vielmehr den starken Einfluss der jüdischen Führungsschicht, allen voran der Hohenpriester, die die Menge dazu anstachelten, Barrabas zu wählen und Jesus zum Tod zu verurteilen. Das führte zu einem explosiven Szenario: Die Masse, getrieben von Emotionen, Gruppendruck und politischer Manipulation, forderte lauthals die Freilassung des gewalttätigen Aufrührers und gleichzeitig die Kreuzigung des unschuldigen, friedvollen Jesus.

In der Folge zeigte Pilatus sich gezwungen, dem Willen der Menge nachzugeben, obwohl er persönlich von Jesu Unschuld überzeugt war. Symbolisch wusch er sich die Hände und erklärte, dass er keine Schuld an der Entscheidung trage, was die Verstrickung von politischem Opportunismus und moralischer Verantwortung unterstreicht. Das Drama um Barrabas und Jesus bleibt ein tiefgreifendes Sinnbild für die Macht der Masse, die nicht immer gerecht oder rational entscheidet, sondern oft von Emotionen und sozialem Druck geleitet wird.

Der Barrabas-Mythos als Ausdruck von Massenmacht

Der Mythos von Barrabas illustriert die Macht der Masse, die sich über moralische Maßstäbe hinwegsetzt. Er verdeutlicht, wie kollektive Entscheidungen von Emotionen und Gruppendynamik geprägt sind. Dieses Muster wiederholt sich immer wieder in der Geschichte – als aktuelles Beispiel kann die Wahl und Unterstützung von Donald Trump genannt werden, bei der viele trotz kontroverser und oft als unmoralisch bewerteter Handlungen hinter ihm standen und stehen. Dieses Phänomen zeigt, wie stark emotionale und identitäre Faktoren die Kräfte einer Masse beeinflussen.

Die Masse agiert dabei nicht als rationale Einheit, sondern als komplexes soziales Gebilde, das von Angst, Hoffnung und dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit getragen wird. Oft dominieren kurzfristige Gefühle wie Empörung oder das Verlangen nach Veränderung über langfristige Überlegungen zu Gerechtigkeit oder ethischen Prinzipien. Die Gruppe sucht nach einem starken Symbol oder einer charismatischen Figur, die für ihre Interessen und Hoffnungen einsteht – selbst wenn diese nicht mit den Werten der Moral übereinstimmt.

Der Barrabas-Mythos lässt sich deshalb als ein archetypisches Beispiel für die Dynamik verstehen, in der eine Masse gegen rationale und moralische Bedenken Entscheidungen trifft, die sich später als irrational oder sogar zerstörerisch herausstellen können. Dies verdeutlicht, wie Politik und Gesellschaft immer wieder mit der Herausforderung konfrontiert sind, kollektive Emotionen zu lenken und die Gefahr von Manipulation oder Populismus zu minimieren.

Im Falle von Donald Trump zeigte sich dieses Muster besonders deutlich: Trotz zahlreicher Skandale, widerlegter Behauptungen und Kritik an seinem Verhalten fanden viele Anhänger emotionale und identitäre Gründe, um ihn als Anführer zu akzeptieren und zu unterstützen. Die Mischung aus Protest gegen das Establishment, nationalistischer Rhetorik und Versprechen einer Rückkehr zu vermeintlichen „alten Werten“ mobilisierte eine große und entschlossene Masse.

Zusammengefasst bedeutet das, dass der Barrabas-Mythos nicht nur eine historische Erzählung ist, sondern eine lebendige Metapher für die Macht der Masse, die kontroverse, von Emotionen geleitete Entscheidungen trifft. Diese Entscheidungen sind selten durch moralische Überlegungen allein erklärbar, sondern durch die komplexe Interaktion von psychologischen Mechanismen, sozialen Erwartungen und politischen Strömungen.

Psychologische Phänomene hinter dem Barrabas-Mythos

Das zugrunde liegende psychologische Phänomen ist unter anderem die kognitive Dissonanz. Diese beschreibt den inneren Konflikt, der entsteht, wenn Menschen widersprüchliche Informationen oder Verhaltensweisen erleben. Um diesen Konflikt zu reduzieren, neigt die Masse dazu, unangenehme Wahrheiten zu verdrängen oder zu rechtfertigen, um das Selbstbild und die Gruppenzugehörigkeit zu erhalten. Dies erklärt, warum gesellschaftliches Lernen aus Fehlern oft ausbleibt und sich irrationales Verhalten wiederholt.

Kognitive Dissonanz ist ein als unangenehm empfundener Zustand, der entsteht, wenn zwei oder mehr widersprüchliche Überzeugungen, Gedanken oder Wahrnehmungen aufeinandertreffen. Dieses innere Spannungsgefühl motiviert Menschen dazu, diese Widersprüche zu reduzieren, um wieder ein konsistentes Selbstbild und eine stabile Weltanschauung zu erreichen. Der Sozialpsychologe Leon Festinger entwickelte die Theorie der kognitiven Dissonanz und zeigte anhand von Beispielen, wie Menschen mental kreativ darin sind, unangenehme Tatsachen zu rechtfertigen oder zu ignorieren.

Bei kollektiven Entscheidungen, insbesondere in Massenbewegungen, entsteht kognitive Dissonanz häufig, wenn individuelle moralische Prinzipien oder logische Überlegungen im Widerspruch zu der von der Gruppe getroffenen Entscheidung stehen. Betroffene passen ihre Überzeugungen oft an die Gruppenerwartungen an, um psychischen Stress zu vermeiden und ihre Zugehörigkeit zur Gemeinschaft nicht zu gefährden. So kann es vorkommen, dass trotz offensichtlicher Fehlentscheidungen oder unmoralischem Verhalten einer Führungsperson wie im Falle von Barrabas oder modernen politischen Figuren wie Donald Trump, die Unterstützung der Masse anhält.

Dies erklärt auch, warum gesellschaftliches Lernen aus der Geschichte oft ausbleibt: Die Bereitschaft, Fehler einzugestehen oder das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen, wird durch die Angst vor sozialer Ausgrenzung oder Identitätsverlust verdrängt. Stattdessen entstehen Rechtfertigungen, die die Entscheidung stützen, selbst wenn sie objektiv irrational oder unmoralisch ist. Die kognitive Dissonanz stellt somit einen Mechanismus dar, der zur Stabilisierung sozialer Gruppen beiträgt, gleichzeitig aber auch destruktive Dynamiken befördern kann.

Warum lernt die Gesellschaft nicht dazu?

Gesellschaftliches Lernen wird durch mehrere Faktoren erschwert: Die emotionalen Erwartungen der Masse, die Suche nach starken Symbolfiguren und das Bedürfnis nach Identifikation mit einer Gruppe führen dazu, dass rationale und moralische Maßstäbe oft ignoriert werden. Die Masse erwartet von bestimmten Personen vor allem, als Repräsentanten ihrer Hoffnungen und Ängste zu agieren – selbst wenn diese moralisch fragwürdig sind. Solange diese Dynamiken wirksam sind, wiederholt sich das Muster der irrationalen Massenentscheidung immer wieder.

Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der emotionalen Ansteckung innerhalb der Masse. Emotionen wie Angst, Wut oder Hoffnung verbreiten sich schnell und intensiv, sodass rationales Denken und kritische Reflexion in den Hintergrund treten. Dieses Phänomen der Massendynamik sorgt dafür, dass Individuen ihre persönliche Wahrnehmung oder moralische Überzeugung zugunsten der Gruppennorm zurückstellen. Die sogenannte Deindividuation bewirkt, dass sich Einzelne in der Masse teils als Teil eines anonymen Kollektivs erleben und ihre individuelle Verantwortung verlieren, was impulsives und oft irrationales Verhalten begünstigt.

Darüber hinaus spielt die Suche nach starken Symbolfiguren eine entscheidende Rolle. Solche Führungspersönlichkeiten fungieren als Projektionsfläche für die Hoffnungen und Ängste der Masse. Sie bieten einfache Antwortmuster und verkörpern identitätsstiftende Werte, die emotionale Sicherheit geben. Die Bindung an solche Figuren kann so stark werden, dass kritische Wahrnehmungen und moralische Bedenken systematisch ausgeblendet oder verdrängt werden. Dies fördert wiederum eine Polarisierung und erschwert einen rationalen Diskurs.

Das Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit und Identifikation mit einer Gruppe verstärkt diese Mechanismen. Menschen sind soziale Wesen, die Anerkennung und Gemeinschaft suchen. Innerhalb der Gruppe entsteht eine gemeinsame Identität, die das „Wir“ stärkt und das „Andere“ ausgrenzt. Diese Gruppenbindung führt dazu, dass Mitglieder ihre Loyalität über differenzierte moralische Erwägungen stellen und sich emotional mit der Gruppe solidarisieren. Dadurch entsteht eine Dynamik, in der Fehler der Gruppe nicht eingestanden, sondern als äußere Bedrohungen oder Verrat interpretiert werden.

Solange diese sozialen und psychologischen Mechanismen wirken, ist gesellschaftliches Lernen und eine nachhaltige Entwicklung schwer zu erreichen. Der Barrabas-Mythos spiegelt dieses Phänomen wider: Die Masse entscheidet sich nicht für moralische Gerechtigkeit, sondern für emotionale Zugehörigkeit und Identitätsstiftung, auch wenn dies objektiv ungerecht oder irrational ist.

Erwartungshaltungen der Masse bei der Wahl eines Verurteilten

Wenn die Masse einem Verurteilten wie Barrabas den Vorzug vor einem als gerecht empfundenen Kandidaten wie Jesus gibt, spielen nicht nur rationale Überlegungen eine Rolle, sondern vor allem emotionale und soziale Faktoren:

  • Ein Gefühl der Rebellion gegen das Establishment oder gegnerische Eliten
  • Die Hoffnung auf Veränderung oder Vergeltung
  • Das Bedürfnis nach starker Führung in unsicheren Zeiten
  • Identifikation mit Symbolen des Widerstands, selbst wenn sie moralisch fragwürdig sind

Diese Erwartungen führen dazu, dass moralisch korrekte, aber weniger emotional überzeugende Kandidaten abgelehnt werden und stattdessen Figuren gewählt werden, die das Bedürfnis nach Machtverschiebung und sozialer Repräsentation erfüllen.

Das Gefühl der Rebellion gegen das etablierte System spielt eine zentrale Rolle. Menschen fühlen sich oft von politischen oder wirtschaftlichen Eliten ausgeschlossen oder unterdrückt und suchen nach einem Ventil für ihre Frustration. Ein Verurteilter wie Barrabas wird dann zum Symbol für den Widerstand gegen ein als ungerecht empfundenes System, während der moralisch integre Kandidat als Teil dieses Systems wahrgenommen wird.

Die Hoffnung auf Veränderung oder Vergeltung kann starke emotionale Kräfte freisetzen, die rationale Überlegungen verdrängen. Die Masse sehnt sich nach dem Bruch mit dem Status quo, nach Umverteilung von Macht und Ressourcen oder nach Gerechtigkeit im Sinne von Vergeltung gegenüber vermeintlichen Tätern. Diese Hoffnungen werden oft auf charismatische Führer projiziert, die die Rolle des Barrabas einnehmen – als diejenigen, die bereit sind, radikale Veränderungen herbeizuführen.

In unsicheren Zeiten wächst das Bedürfnis nach starker Führung. Der Wunsch nach einer klaren Richtung, die Sicherheit und Orientierung verspricht, führt dazu, dass komplexe politische Realitäten zugunsten einfacher, emotional aufgeladener Lösungen ausgeblendet werden. Solche Führungsfiguren verkörpern Stärke und Entschlossenheit, auch wenn ihre Methoden oder Werte fragwürdig sind.

Die Identifikation mit Symbolen des Widerstands verstärkt die Loyalität der Masse und schafft ein Gefühl der Gemeinschaft und Zweckbindung. Selbst wenn diese Symbole moralisch problematisch sind, bieten sie ein gemeinsames Narrativ, das den sozialen Zusammenhalt stärkt und die kollektive Identität definiert. Die Ablehnung moralisch korrekter Kandidaten zu Gunsten solcher Symbole wird so zu einem sozialen Bedürfnis, das rationalen Argumenten oft widersteht.

Der Barrabas-Mythos bleibt damit ein aktuelles und eindrückliches Sinnbild für die Macht der Masse, aber auch für ihre Rationalitäts- und Moraldefizite. Er mahnt zur kritischen Reflexion gesellschaftlicher Dynamiken und politischen Handelns, die jenseits von bloßer Moral und Logik stattfinden. Die Geschichte erinnert daran, dass starke Emotionen und soziale Identitäten politische Entscheidungen prägen – mit oft weitreichenden Folgen für Gesellschaft und Demokratie.

Quellen:
Wikipedia – Barabbas,
Histo-Couch zum Barrabas-Mythos,
Sermon Online – Barrabas Geschichte

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