Mein Faible für Sprache sollte hinlänglich bekannt sein – ein Blick auf meine Beiträge hier im Blog bestätigt dies. Doch was passiert, wenn man die Sprache in der Wissenschaft mit neuen Augen betrachtet? Könnte sie in diesem Kontext zur Scheuklappe geworden sein, die uns daran hindern, neue Dimensionen des Denkens zu erschließen, quasi eine „Denkfalle Sprache“ darstellen?
Wir leben in einer Welt aus Worten. Narrative umgeben uns wie die Luft, die wir atmen. Geschichten strukturieren unser Denken, Begriffe formen unsere Wahrnehmung. Doch genau darin liegt eine Gefahr: Wenn Sprache nicht nur beschreibt, sondern unsere Vorstellungskraft einschränkt, indem sie Lösungen verdeckt, statt sie freizulegen. Sprache ist ein mächtiges Werkzeug, aber sie kann auch eine Fessel sein, die uns daran hindert, neue Perspektiven zu erkennen und alternative Lösungswege zu beschreiten.
Das Geschriebene als Fixpunkt
Es gibt eine tief verwurzelte Tendenz, das Geschriebene als endgültig zu betrachten.
Das geozentrische Weltbild hielt sich für über 1400 Jahre als Lehrmeinung, um sich nicht mit Platon und Aristoteles anzulegen. Über 2000 Jahre war die Humoralpathologie Lehrmeinung, das medizinische Konzept der Viersäftelehre. Hippokrates‘ und Galen’s Arbeiten konnten ja nicht falsch sein!
Willard Van Orman Quine argumentiert in „Word and Object“, dass Sprache nie eine objektive Abbildung der Realität darstellt. Und trotzdem, was einmal in Worte gefasst ist, scheint festzustehen und gewinnt eine Autorität, die oft nicht mehr hinterfragt wird. Gesetze, Theorien und Begriffe erhalten ein Eigenleben, als seien sie unveränderliche Naturgesetze. Wer sie infrage stellt, erweckt nicht selten den Eindruck eines Verräters an der Tradition – selbst wenn die Realität längst über die alten Formulierungen hinausgewachsen ist.
Dieses Phänomen zeigt sich besonders in wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskursen, wo alte Paradigmen oft lange bestehen bleiben, auch wenn neue Erkenntnisse sie längst widerlegt oder weiterentwickelt haben.
Widersprüchliche Begriffe als Denkfallen
Oft verwenden wir Worte, die in sich selbst Widersprüche tragen oder völlig irreführend sind.
Die „Hubble-Konstante“ ist nicht konstant, sondern verändert sich mit der Zeit. Ein „Schwarzes Loch“ ist kein Loch im herkömmlichen Sinne, sondern eine extrem dichte Ansammlung von Masse, die Licht und Materie anzieht. Und „Künstliche Intelligenz“? Sie hat nichts mit dem zu tun, was wir üblicherweise unter Intelligenz verstehen. Sie basiert auf Algorithmen, statistischen Modellen und maschinellem Lernen, aber sie denkt nicht eigenständig, hat kein Bewusstsein und kein Verständnis für Kontext oder Bedeutung.
Friedrich Nietzsche sieht in wissenschaftlichen Begriffen oft „versteinerte Metaphern“1, ein sehr schönes Bild, was mich an Fossilien – echt oder gefälscht – erinnert.
Diese Begriffe führen dazu, dass wir mit falschen Annahmen arbeiten. Wenn wir etwas „Intelligenz“ nennen, obwohl es lediglich Muster erkennt und verarbeitet, haben wir bereits einen gedanklichen Rahmen geschaffen, der falsche Erwartungen weckt. So verzerren Wörter nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch die Richtung, in die wir nach Lösungen suchen. In der Linguistik besagt die Sapir-Whorf-Hypothese, dass die Art und Weise, wie ein Mensch denkt, stark durch die semantische Struktur und den Wortschatz seiner Muttersprache beeinflusst oder bestimmt werde.
Das Problem liegt nicht nur in den Worten selbst, sondern in der Art und Weise, wie sie unser Denken beeinflussen und oft unbewusst in eine bestimmte Richtung lenken. Diese Begriffe erschweren es, sich alternative Konzepte vorzustellen und die eigentlichen Mechanismen zu verstehen, die hinter diesen Phänomenen stecken.
Sprache als Schlüssel oder Barriere?
Die Herausforderung liegt also darin, Sprache bewusst zu nutzen, statt von ihr genutzt zu werden. Können wir neue Begriffe finden, die weniger Ballast mit sich tragen? Können wir Narrative erkennen, die unser Denken einschränken, anstatt es zu befreien? Und wie können wir sicherstellen, dass unsere Sprache nicht nur vergangene Realitäten widerspiegelt, sondern auch den Wandel und Fortschritt in unser Denken integriert?
Lösungen entstehen nicht aus fixen Formulierungen, sondern aus der Fähigkeit, die Dinge immer wieder neu zu betrachten. Vielleicht beginnt wahre Innovation damit, unsere Sprache genauso kritisch zu hinterfragen wie die Probleme, die wir lösen wollen. Denn nur, wenn wir bereit sind, alte Begriffe und Narrative loszulassen, können wir den Blick für neue Möglichkeiten öffnen. Ein bewussterer Umgang mit Sprache könnte der Schlüssel sein, um uns aus Denkfallen zu befreien und eine flexiblere, kreativere Problemlösung zu ermöglichen.
Simplifizierte Sprache als Ideengenerator?
Besonders aufgefallen ist mir dieser Umstand beim Hören eines Podcasts „Der heilige Gral der Physik„.
Die Diskussion drehte sich um die scheinbar unüberwindbare Herausforderung, eine Verbindung zwischen Gravitation und Quantentheorie herzustellen. Trotz jahrzehntelanger Forschung bleibt diese Suche erstaunlich erfolglos. Jede Annäherung erfordert hochkomplexe mathematische Konstrukte, die selbst in ihren besten Ansätzen nicht zu einer einheitlichen Theorie führen.
Dieses Problem erinnert mich an die historischen Versuche, die Planetenbewegung im geozentrischen Weltbild zu beschreiben. Auch damals wurden komplizierte mathematische Modelle entwickelt, um die beobachteten Bahnen zu erklären. Doch trotz aller Anpassungen blieben die Rechnungen ungenau – ein Hinweis darauf, dass der grundlegende Ansatz möglicherweise falsch war. Erst der Wechsel zur heliozentrischen Sichtweise brachte eine deutlich elegantere und präzisere Beschreibung der Bewegungen. Vielleicht liegt die „Wahrheit“ auch heute in der Einfachheit? Statt sich in immer komplexeren mathematischen Konstruktionen zu verlieren, könnte es lohnenswert sein, eine neue Perspektive einzunehmen. Warum suchen wir eine Lösung im Makrokosmos, wenn die Antworten vielleicht direkt vor uns liegen?
Flughöhe ändern?
Ein möglicher Ansatz wäre es, bewusst auf eine zu differenzierte, mit Theorien überladene Sprache zu verzichten und stattdessen den Fokus auf reine Beobachtungen zu legen. Was würde passieren, wenn wir Begriffe und Konzepte einfach einmal beiseitelassen und uns nur darauf konzentrieren, was wir tatsächlich wahrnehmen? Vielleicht eröffnen sich dadurch ganz neue Denkrichtungen.
Insbesondere das Konzept der Dunklen Materie könnte auf diese Weise in einem anderen Licht erscheinen. Anstatt sie als eine separate, unsichtbare Substanz zu betrachten, könnte sie möglicherweise als ein Effekt innerhalb der bereits bekannten Materie interpretiert werden. Wenn wir die Unterscheidung zwischen sichtbarer und Dunkler Materie hinterfragen und uns nur auf das konzentrieren, was wir direkt messen können, könnten sich vielleicht neue Zusammenhänge zeigen – Zusammenhänge, die bislang durch unser bestehendes begriffliches Raster verdeckt wurden.
Vielleicht ist der Begriff Gravitation eher Bremse als Wissensziel? Hat Newton vielleicht nur eine anwendungsbasierte Formulierung für den beobachteten Effekt des herabfallenden Apfels gesucht?
Letztlich stellt sich die Frage: Wie viel unserer Wissenschaft wird von der Sprache geprägt, mit der wir sie beschreiben? Und könnte eine bewusste, vereinfachte Betrachtungsweise – frei von theoretischen Vorannahmen – vielleicht zu Erkenntnissen führen, die uns bisher verborgen geblieben sind?
Fazit
Sprache ist alles andere, als nur als ein neutrales Werkzeug zur Beschreibung der Welt – sie formt unsere Wahrnehmung, beeinflusst unser Denken und kann uns sowohl zu neuen Erkenntnissen führen als auch in alten Denkmustern gefangen halten. In der Wissenschaft zeigt sich dies besonders deutlich: Begriffe und Theorien gewinnen oft eine Autorität, die sie vor kritischer Hinterfragung schützt, selbst wenn die Realität längst über sie hinausgewachsen ist.
Doch genau hier liegt die Chance. Wenn wir uns von der Vorstellung lösen, dass Sprache immer die Wirklichkeit korrekt abbildet, können wir neue Denkansätze entwickeln. Ein bewussterer Umgang mit Begriffen – oder sogar das gezielte Loslassen etablierter Narrative – könnte den Blick für bislang unerkannte Zusammenhänge öffnen. Vielleicht erfordert echter Fortschritt nicht nur neue Theorien, sondern auch eine neue Sprache, die weniger einschränkt und mehr Möglichkeiten zulässt.
Am Ende bleibt die Frage: Was, wenn nicht nur unsere Modelle, sondern bereits die Worte, mit denen wir sie beschreiben, die größten Hindernisse für das Verständnis der Welt sind? Vielleicht beginnt der nächste große Erkenntnissprung nicht mit komplizierteren Formeln – sondern mit einfacheren Worten.