a number of owls are sitting on a wire

Wertschätzung – Schein und Sein in der Kommunikation

Ein Blick auf unsere modernen Kommunikationsgewohnheiten.

Poste, also bist du

Ach, das moderne Dasein. Es ist nicht mehr genug, einfach nur zu leben – nein, wir müssen es auch öffentlich beweisen! Jeder Moment, den wir nicht posten, könnte ja ein vergeudeter Moment sein. Wer weiß, ob das Sushi wirklich so exquisit war, wenn es nicht in der Story landet? War der romantische Sonnenuntergang wirklich romantisch, wenn er nicht in einer Bildunterschrift mit „#blessed“ versehen wurde? Fragen über Fragen.

Wertschätzung wird heute in Herzchen und Daumen hoch gemessen. Je mehr wir von unserem Leben teilen, desto relevanter erscheinen wir. Geburtstagsfotos, Fitness-Updates und der „perfekte“ Latte Macchiato – alles muss raus, damit die Welt weiß: Wir existieren! Und zwar besser als alle anderen. Wer keinen perfekt drapierten Avocado-Toast postet, hat er ihn überhaupt gegessen? Oder schlimmer: Isst er etwa überhaupt keinen Avocado-Toast?

Ganz ehrlich, es geht doch nicht ums Leben selbst, sondern darum, dass es gesehen wird.

Arbeitsbelastung als Statussymbol

„Oh, ich habe so viel zu tun!“ – Drei Meetings vor dem ersten Kaffee, 134 unbeantwortete E-Mails und keine Mittagspause in Sicht. Diese Aussage öffnet Türen zu einem Meer aus Mitleid und Bewunderung. Denn je gestresster wir sind, desto wichtiger scheinen wir. Schließlich kann nur jemand von Bedeutung so viel zu tun haben. Wer gestresst ist, ist quasi ein VIP des Hamsterrads.

Doch was ist mit denen, die nicht im Open Space-Büro sitzen und E-Mails mit CC an die halbe Firma verschicken? Die Menschen, die wirklich systemrelevante Arbeit leisten? Pfleger, Erzieher, Handwerker – Leute, die Dinge machen, anstatt sich über Deadlines zu beklagen. Ihr Lohn? Eine warme Sonntagsrede von Politikern, die sich danach direkt wieder vergessen. Und natürlich die berühmte „intrinsische Motivation“. Applaus, Applaus.

Freizeitstress und opportunistische Hobbys

Freizeit? Bitte nicht zu viel davon! Denn wer sich einfach mal entspannt, ist verdächtig. Stattdessen: Selbstoptimierung auf Hochtouren. Yoga am Morgen, Stricken am Abend, dazu ein Sprachkurs in Mandarin. Alles, natürlich, mit Instagram-tauglichen Momenten.

Die Hobbys müssen „wertvoll“ sein. Stricken ist okay, aber nur, wenn es nachhaltige Bio-Wolle aus dem Himalaya ist. Joggen? Perfekt – aber bitte mit einer App, die den Puls misst und ein schickes Dashboard generiert. Einfach nur etwas tun, weil es Spaß macht? Kindisch! Der erwachsene Mensch von Welt betreibt seine Hobbys strategisch, immer mit Blick auf Selbstverbesserung und soziales Prestige.

Sportliche Kinder und übertragener Stress

Apropos Optimierung: Die beginnt natürlich schon im Kindesalter. Ein Kind, das einfach nur auf dem Spielplatz herumtollt, ist Zeitverschwendung. Stattdessen: Leistungssport! Jeder Samstagvormittag randvoll mit vier Trainingseinheiten. Ballett, Schwimmen, Klavier und natürlich ein zweisprachiger Debattierclub. Denn wer mit vier Jahren noch nicht Chinesisch spricht, hat später keine Chance mehr.

Aber was ist mit den Kindern, die einfach nur… spielen wollen? Die keine Lust auf Wettkampf haben? Sind die dann weniger wert? Wer erklärt ihnen, dass in unserer Gesellschaft Freizeit nur dann wertvoll ist, wenn sie sich irgendwie vermarkten lässt?

Warum das alles?

Die Frage nach dem „Warum“ führt uns direkt in die große Sinnkrise. Machen wir das alles, weil es uns glücklich macht? Oder weil wir Angst haben, aus dem sozialen Raster zu fallen? Wahre Wertschätzung scheint oft mehr mit äußerem Schein als mit innerem Sein zu tun zu haben. Die Likes verblassen, der Applaus verebbt, und am Ende sitzen wir allein mit unserem selbst produzierten Freizeitstress.

Wahre Wertschätzung ist leise. Sie lebt in den Momenten, in denen niemand hinsieht. Sie zeigt sich nicht in Instagram-Posts, sondern in stillen Gesten. Im Trösten eines weinenden Kindes. Im Zuhören, wenn jemand Sorgen hat, die nicht LinkedIn-tauglich sind. In der Geduld für Menschen, die nie laut nach Aufmerksamkeit schreien.

Und die ruhigen Zeitgenossen?

Sie posten nicht. Sie müssen sich nicht inszenieren. Sie machen einfach. Ihre Wertschätzung misst sich nicht in Followerzahlen, sondern in echtem, tiefem Respekt. Von sich selbst. Von anderen. Sie brauchen keinen Applaus, keinen „motivational quote of the day“ und keine Bestätigung von wildfremden Menschen im Internet.

Und genau das macht sie unbezahlbar.

#RealLifeMatters

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