a number of owls are sitting on a wire

Dilettieren – besser als sein Ruf

Ein Leben im Zeichen des Ausprobierens

Ich dilettiere. In vielem. Ich schreibe – nicht professionell, aber mit Leidenschaft. Ich mache Musik – viel zu selten, aber dafür mit Herz. Ich fotografiere – das vielleicht sogar schon auf einem Niveau, das gelegentlich Applaus provoziert (wenn auch meistens nur von mir selbst). Ich scribble – also zeichne, skizziere, kritzle – meistens am Rand von Notizbüchern, hier im Blog, manchmal auf Servietten, selten auf Einladung. Und ich philosophiere – mit Freunden, mit Fremden, manchmal nur mit mir selbst, meistens in Cafés. Ich bin kein Kant, aber ich kann Fragen stellen, die mich selbst überraschen.

Kurz: Ich lebe ein dilettantisches Leben. Nicht als Abwertung, sondern als Haltung. Denn das Dilettieren, dieses spielerische Erproben, das Sich-Hineinwerfen in neue Felder, das fröhliche Scheitern und spontane Staunen – das ist für mich eine Form von Lebendigkeit. Vielleicht sogar die ehrlichste. Warum fühlt es sich also gar nicht so schlecht an – obwohl das Wort „Dilettant“ so oft wie ein Vorwurf klingt? Vielleicht, weil ich das Leben lieber neugierig als effizient lebe.

Was heißt hier eigentlich „dilettieren“?

Der Begriff „dilettieren“ kommt vom italienischen dilettare – „sich erfreuen“. Ursprünglich war der Dilettant also jemand, der etwas aus purer Freude tat. Nicht, weil er damit seinen Lebensunterhalt bestritt, sondern weil es ihn innerlich bereicherte. Kein Profi, kein Geldverdiener, kein verbissener Leistungsmensch – sondern ein Genussmensch. Jemand, der sich die Freiheit nimmt, etwas zu tun, weil es ihn interessiert, inspiriert, bewegt.

Der Dilettant hat einen engen Verwandten: den Amateur. Auch dieses Wort wird gerne unterschätzt. Es kommt vom französischen amateur – also „Liebhaber“. Der Amateur liebt, was er tut. Das allein hebt ihn schon aus der Masse der reinen Funktionserfüller heraus. Ja, vielleicht ist sein Werk nicht perfekt. Vielleicht sind seine Akkorde holprig, seine Gedanken mäandernd, seine Skizzen krakelig – aber sie sind echt. Und mit Liebe gemacht.

Heute hingegen klingen beide Begriffe oft wie kleine, spitze Gemeinheiten. „Das ist ja voll dilettantisch gemacht!“ – das meint selten „Oh, wie verspielt und charmant!“. Sondern eher: „Hätte man sich mal jemanden geholt, der’s kann.“ Dabei liegt im Dilettieren genau das, was uns oft verloren geht: die Lust am Versuch, der Reiz des Ungefähren, das Staunen über das Unerwartete.

Vielleicht ist es also an der Zeit, diese Wörter zu entstauben – und ihnen ihren alten Glanz zurückzugeben. Denn hinter dem Dilettanten verbirgt sich keine Peinlichkeit, sondern eine Haltung: Dinge mit Freude tun, mit Neugier, ohne Angst vor dem Urteil der Welt. Ein bisschen wie ein Kind, das mit ernster Miene einen wackeligen Turm aus Bauklötzen baut – nicht weil es perfekt sein muss, sondern weil es Spaß macht.

Damals war Dilettantismus noch schick

Man stelle sich das 18. Jahrhundert vor: ein kultiviertes Wohnzimmer, vielleicht ein bisschen stickig vom Kaminduft, aber erfüllt von klappernden Reimen, sanften Klavierklängen und dem wohligen Geräusch von Aquarellpinseln auf Pergament. Dilettieren war en vogue. Wer etwas auf sich hielt, schrieb Gedichte (gern mit gefühlvollem Weltschmerz), malte Landschaften (gern mit dramatischem Himmel) oder klimperte auf dem Cembalo (gern in Gesellschaft). Und zwar nicht zur beruflichen Selbstoptimierung – sondern zur seelischen Selbstverwirklichung.

Goethe? Natürlich ein Genie mit Lizenz zum Schreiben. Aber daneben auch ein brennend neugieriger Dilettant – in Geologie, Botanik, Optik. Seine Farbenlehre wurde zwar später in der Wissenschaft belächelt, aber genau das zeigt: Auch der große Johann Wolfgang hat gern ausprobiert, gescheitert, wieder probiert. Er war kein Spezialist, sondern ein Spezialist im Nicht-Spezialisiertsein.

Damals hieß dilettieren: sich bilden durch Tun, sich entfalten durch Mühe – nicht durch messbare Effizienz, sondern durch erfahrbare Tiefe. Wer dilettierte, hatte Muße. Und Muße war damals noch nicht verdächtig.

Dann kam die Industrialisierung. Maschinen wurden präziser, Menschen effizienter, Tätigkeiten spezialisierter. Der Dilettant wurde aus dem Salon auf die Zuschauerbank verfrachtet. Statt „Wie schön, dass du dich mit Astrologie beschäftigst!“ hieß es plötzlich: „Und was bringt dir das beruflich?“ Der Amateur mutierte zum Zaungast der Kompetenzgesellschaft – bewundert höchstens noch als skurrile Randerscheinung, wie ein Onkel, der bei Familienfesten ein Diabolo jongliert.

Dabei hat der dilettantische Zugang Qualitäten, die dem Profi oft fehlen: den unverstellten Blick, den Mut zum Fehler, den kreativen Seiteneingang in die Problemlösung. Während der Profi Prozesse optimiert, stellt der Dilettant Fragen, die sonst niemand mehr stellt. Und wer weiß – vielleicht ist der Geistesblitz am Ende nicht das Ergebnis methodischer Exzellenz, sondern eines Nachmittags voller neugieriger Umwege.

Dilettantisch? Mit Vergnügen!

Ich schreibe nicht, weil mir ein Buchvertrag winkt oder der nächste Literaturpreis an meine Tür klopft. Ich schreibe, weil ich beim Schreiben atme. Weil sich Gedanken beim Tippen ordnen – oder eben auch nicht. Ich mache Musik, weil sie etwas in mir berührt, das mit Worten schwer zu fassen ist. Auch wenn mein Rhythmusgefühl manchmal spontan kündigt und die Ukulele öfter verstimmt ist als ich selbst. Ich fotografiere, weil ich dadurch Details sehe, die mir sonst entgehen würden – das flüchtige Licht auf einem Gesicht, die stille Poesie eines leerstehenden Kiosks.

Und ich scribble. Nicht für Galerien, sondern für den Kühlschrank, als Illustration für diesen Blog. Ich philosophiere. Nicht mit Anspruch auf Wahrheit, sondern mit Lust auf Tiefe. Und manchmal auch nur, weil mir beim Kaffee die großen Fragen des Universums in den Milchschaum blicken.

Das alles muss nicht perfekt sein. Es muss nicht einmal „gut“ im klassischen Sinne sein. Es muss nur etwas in mir bewegen. Und wenn es dabei auch noch andere berührt, zum Lachen bringt, inspiriert oder wenigstens verwundert – dann ist das Bonusmaterial.

Der Dilettant hat keine Angst vor Fehlern. Er lebt von ihnen. Er muss nichts beweisen, keinem Algorithmus gefallen, keinen Karriereplan bedienen. Er darf scheitern, experimentieren, stolpern – mit Anlauf. Und genau diese Stolperer führen oft zu den spannendsten Entdeckungen: ein unerwarteter Ton, der plötzlich genau richtig klingt. Ein Satz, der nicht schön ist, aber wahr. Ein Foto, das verwackelt – aber Seele hat.

Perfektion ist berechenbar. Dilettantismus ist lebendig. Da, wo der Profi längst in Routinen gefangen ist, entdeckt der Dilettant noch Wunder. Und ehrlich gesagt: Mir ist ein beherzter Pinselstrich mit schiefer Perspektive lieber als eine technisch makellose Leere.

Ein Plädoyer für mehr Amateure

In einer Welt voller KPIs, Self-Optimization-Apps und algorithmisch ausgewählter Lieblingssongs braucht es mehr Amateure. Mehr Menschen, die Dinge einfach tun, weil sie ihnen Freude machen – nicht, weil sie ein Ziel erfüllen, eine Benchmark übertreffen oder in eine Präsentation passen. Menschen, die abends Gedichte schreiben, obwohl sie am Morgen Tabellen kalkuliert haben. Die zeichnen, obwohl sie wissen, dass ihr Perspektivgefühl suboptimal ist. Die dilettieren – mit Würde, mit Witz, mit Wagemut.

Denn der Dilettant ist kein Blender, der vorgibt, mehr zu wissen, als er weiß. Er ist ein Abenteurer. Ein kreativer Entdecker, der lieber nach Sternen greift, als seinen Lebenslauf zu glätten. Einer, der das Ungefähre nicht meidet, sondern umarmt. Der mit seiner Freude an der Sache andere ansteckt, inspiriert, verwirrt – aber nie langweilt.

Der Amateur stellt sich gegen die eiserne Faust der Produktivität. Gegen das „Was bringt das?“ und das „Lohnt sich das?“. Seine Antwort ist ein schulterzuckendes „Vielleicht nicht. Aber es macht Spaß.“ In einer Gesellschaft, in der der Mehrwert alles ist, bringt der Amateur etwas Seltenes mit: Sinn, der sich nicht messen lässt. Tiefe, die nicht in Daten passt.

Und sind wir mal ehrlich: Jeder Profi war irgendwann einmal ein Amateur. Ein Kind mit zu großem Pinsel, ein Jugendlicher mit verstimmter Gitarre, ein Träumer mit zu viel Text und zu wenig Struktur. Nur haben manche Profis irgendwann vergessen, wie schön diese Zeit war – als noch Fehler erlaubt waren, Umwege selbstverständlich und jedes kleine Gelingen ein Fest.

Es wird Zeit, dass wir den Amateur rehabilitieren. Nicht als Trostpflaster für Unvollkommenheit, sondern als Ideal des Menschlichen. Denn der Amateur ist einer, der liebt, was er tut. Und wenn wir ehrlich sind – was könnte man Schöneres über jemanden sagen?

Fazit: Lieber gut dilettiert als schlecht perfektioniert

Ich bleibe Dilettant. Und ich bin stolz darauf. Denn was ich tue, tue ich nicht perfekt – aber mit Herz, mit Neugier, mit einer gehörigen Portion unperfektem Enthusiasmus. Und vielleicht liegt genau darin das Geheimnis: dass in einer Welt, die ständig Ergebnisse fordert, Likes zählt und Effizienz predigt, das absichtslose Tun der eigentliche Luxus ist. Zeit zu verschwenden für etwas, das nichts bringt – außer Freude. Was für eine herrliche Verschwendung.

Vielleicht ist das dilettantische Leben gar kein Rückzug aus der Welt der Leistung, sondern ein stiller Protest gegen ihre Monotonie. Ein „Ich mach’s trotzdem“ inmitten von „Wozu eigentlich?“. Ein kleines Leuchten in der Masse der optimierten Abläufe. Und vielleicht ist genau dieses Leuchten das, was uns verbindet.

Also, liebe Leserinnen und Leser: Dilettiert mehr! Singt falsch, schreibt wild, malt krumm, spielt schief, fragt naiv, denkt quer. Lasst den inneren Amateur raus – den, der es einfach versucht, ohne zu wissen, ob es etwas wird. Der Fehler nicht fürchtet, sondern feiert. Der nicht um Anerkennung buhlt, sondern um Erkenntnis tanzt.

Denn wie sagte schon Oscar Wilde (vielleicht – oder war’s doch mein Friseur?): „Amateur zu sein heißt, sich nicht vom Applaus abhängig zu machen.“ Und das ist, in einer Zeit der Dauerbewertung, vielleicht das Freieste, was man sein kann.

Also los – dilettieren wir. Mit Würde. Mit Witz. Mit allem, was uns einfällt.

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