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Kinder als Basis einer Gesellschaft – zwischen Idealisierung und Realität

Triggerwarnung: Es kommt nichts wirklich überraschendes!

Man kann es nicht oft genug erwähnen – und die aktuelle Politik gibt kaum Hoffnung auf Änderungen – Kinder sind vom Kitt der Gesellschaft zum Problem mutiert.

Ein überhöhtes Idealbild – und die brutale Wirklichkeit

Immer wieder wird das Narrativ bemüht, Kinder seien die „Basis unserer Gesellschaft“, die „Investition in die Zukunft“ oder gar der „wichtigste Schatz“. Politische Sonntagsreden und Werbekampagnen zeichnen das Bild einer kinderfreundlichen, unterstützenden Gesellschaft.

Doch die Realität in Deutschland (und weiten Teilen Europas) sieht anders aus: Kinder sind längst zum Armutsrisiko geworden. Sie gefährden die wirtschaftliche Stabilität von Familien und stellen für viele Frauen ein Karrierekiller dar. Anstatt echte gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die Kindern und Eltern ein gutes Leben ermöglichen, bleibt es bei hohlen Phrasen und kosmetischen Reformen.

Historische Narrative – romantisierte Rückprojektionen

Ein weiterer Trugschluss, der unsere gesellschaftliche Diskussion durchzieht, ist die romantisierte Vorstellung von Mutter und Vater als klar getrennten Rolleninhabern: die Mutter fürsorglich am Herd, der Vater als alleiniger Ernährer. Doch ein Blick in die Geschichte zeigt: Diese Rollenaufteilung war niemals universell.

Besonders in bäuerlichen Gesellschaften arbeiteten beide Elternteile – auf den Feldern, mit dem Vieh, bei handwerklichen Tätigkeiten. Kindererziehung erfolgte oft in Gemeinschaft: Großeltern, Tanten, Onkel übernahmen bedeutende Teile der Betreuung. Das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts – und eignet sich kaum als Maßstab für moderne Gesellschaftsstrukturen.

Bildungspolitik – ein System am Rande des Kollapses

Wenn eine Gesellschaft Kinder wirklich als Basis begreift, dann muss sie vor allem eines sicherstellen: ein funktionierendes Bildungssystem. Doch das Gegenteil ist der Fall. Wie im Buch Bildung neu denken (ISBN: 978-3-384-45686-1) dargelegt, sind Kinderkrippen und Kindergärten massiv unterbesetzt. Der Betreuungsschlüssel ist vielerorts katastrophal. Lehrermangel an Schulen ist kein vorübergehendes Phänomen mehr, sondern ein strukturelles Problem.

Eltern werden regelrecht erpresst: Betreuungszeiten werden gekürzt, Aufnahmekriterien verschärft, Zusatzkosten steigen. Viele Einrichtungen verfügen nicht einmal über ausreichend pädagogisches Fachpersonal, um ein Mindestmaß an Förderung zu gewährleisten. Bildung – das eigentliche Fundament einer zukunftsfähigen Gesellschaft – wird kaputtgespart und bürokratisiert, bis am Ende nur noch Verwaltung übrig bleibt.

Gesundheitspolitik – Kinder als medizinische Nebensache

Auch im Gesundheitssystem offenbart sich eine gravierende Schieflage. Medikamentenforschung und pharmazeutische Innovationen konzentrieren sich fast ausschließlich auf Erwachsene. Kindgerechte Medikamente sind Mangelware; vielfach müssen Präparate für Erwachsene notdürftig dosiert und umfunktioniert werden. Dies betrifft sowohl somatische Erkrankungen als auch die immer häufiger diagnostizierten psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen.

Hinzu kommt ein eklatanter Mangel an kinderpsychiatrischen und therapeutischen Versorgungsplätzen. Wenn überhaupt, dann wird kindliche Gesundheit unter dem Aspekt betrachtet, zukünftige Arbeitskräfte „fit zu halten“ – nicht aus einem eigenständigen, kindzentrierten Menschenbild heraus.

Massive Bevorzugung alter Menschen – ein systemisches Ungleichgewicht

Während Kinder strukturell vernachlässigt werden, zeigt sich eine gegenteilige Dynamik im Umgang mit älteren Menschen. Politisch, wirtschaftlich und sozial werden die Interessen älterer Generationen massiv priorisiert. Rentensysteme werden aufrechterhalten, obwohl sie auf Kosten der jüngeren Generationen immer schwerer finanzierbar sind. Milliarden fließen in Pflege- und Versorgungssysteme, die kaum noch an Nachhaltigkeit oder Zukunftsfähigkeit denken.

Alte Menschen genießen vorrangige politische Aufmerksamkeit – weil sie die stärkste Wählergruppe darstellen. Doch ihr gesellschaftlicher Beitrag zur Zukunftsgestaltung ist naturgemäß begrenzt. Während Ressourcen zur Stabilisierung bestehender Systeme aufgewendet werden, fehlt es an Investitionen in Bildung, Betreuung, Innovation und Infrastruktur. Eine Gesellschaft, die ihre Vergangenheit konserviert, aber ihre Zukunft aushungert, steuert auf eine selbstverschuldete Katastrophe zu.

Gesellschaftliche Strukturprobleme – die unsichtbaren Lasten

Wer über Kinder als Basis der Gesellschaft spricht, muss auch die sozialen Strukturen reflektieren, die Familien heute tatsächlich vorfinden. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bleibt eine rhetorische Illusion: Kita-Öffnungszeiten kollidieren mit Arbeitszeiten, flexible Modelle existieren oft nur auf dem Papier. Eltern – und hier besonders Frauen – zahlen mit Einkommensverlusten, Altersarmut und Karriereknick. Kinder, die angeblich „unsere Zukunft“ darstellen, werden durch die bestehenden gesellschaftlichen Mechanismen faktisch zu einem Armutsrisiko. Eine Gesellschaft, die Kinderwünsche mit systemischen Hürden versieht, agiert selbstzerstörerisch – und schiebt die Verantwortung in Richtung individueller Lebensentscheidungen ab („Hättet ihr halt keine Kinder bekommen“).

Ökonomisierung der Kindheit – Wert nur im Verwertbaren

Ein besonders bitteres Phänomen ist die zunehmende Ökonomisierung der Kindheit. Frühkindliche Bildung wird nicht mehr als Selbstzweck betrachtet, sondern als Mittel zur „Optimierung“ zukünftiger Humankapitalressourcen. Begriffe wie „Bildungsrendite“ und „Frühförderung“ verraten den wahren Geist der aktuellen Kinderpolitik: Kinder sind nur dann wertvoll, wenn sie leistungsfähig, anpassungsbereit und produktiv sind. Ihre Entwicklung wird entlang marktwirtschaftlicher Kriterien beurteilt. Freizeit, Muße, selbstbestimmte Entwicklung – zentrale Voraussetzungen für kreative und soziale Kompetenzen – gelten als ineffiziente Zeitverschwendung.

Fazit: Lippenbekenntnisse statt Verantwortung

Das wiederholte Mantra „Kinder sind unsere Zukunft“ verliert angesichts der beschriebenen Realitäten jede Glaubwürdigkeit. Eine Gesellschaft, die es nicht schafft, Kinderarmut zu bekämpfen, Bildung zugänglich zu machen und eine kindgerechte Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, hat ihr Recht verspielt, sich als kinderfreundlich zu bezeichnen. Kinder sind keine PR-Objekte und keine projektierte Hoffnung – sie sind Menschen mit Rechten und Bedürfnissen im Hier und Jetzt. Wer ihre Bedürfnisse ignoriert oder ihnen nur symbolische Aufmerksamkeit schenkt, sabotiert nicht nur die eigene Zukunft, sondern offenbart eine moralische Bankrotterklärung.

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