Ich bin Ficus Benjamini. Zimmerpflanze. Hausmitbewohner. Langjähriges Opfer einer Familie mit mehr ADHS als Hausverstand. Und heute erzähle ich euch von etwas, das mich nachhaltig traumatisiert hat: Familienurlaub.
Man sollte meinen, Pflanzen blühen in neuen Umgebungen auf. Frische Luft, neues Licht, Meeresrauschen. Ich aber? Ich wurde aus meinem halbwegs stabilen Wohnzimmermilieu gerissen und in eine Dachbox gestopft – neben einem aufblasbaren Krokodil, zwei vergessenen Schwimmflügeln und der Vorstellung, dass das „mal eine entspannte Woche wird“.
Abfahrt mit Apokalypse-Vibes
Die Abfahrt beginnt um 5:00 Uhr – theoretisch. Praktisch verlassen wir das Haus gegen 9:47 Uhr, nachdem dreizehn Mal jemand zurückgekehrt ist („Wo ist das Ladegerät?!“ – „Haben wir die Katze gefüttert?!“ – „Wieso steht der Ficus schon im Auto?!“). Ich hocke in einer Ecke des Kofferraums, verpackt in eine Ikea-Tüte, zwischen Wanderschuhen und dem Rucksack des pubertierenden Kindes, das zum ersten Mal in seinem Leben versucht, introvertiert zu wirken.
Die Stimmung im Auto ist schnell auf dem Siedepunkt. Das jüngere Kind hat nach vier Minuten Hunger, die Mutter hat den Kaffee vergessen, der Vater fährt wie ein Fluchtauto-Pilot auf Speed. Ich versuche, nicht umzuwelken.
Die Ankunft im Urlaubsdomizil: Hotel Hölle
Nach acht Stunden Fahrt und fünf Pinkelpausen („Ich muss nicht! Oh, doch.“) erreichen wir das Ferienhaus. Es liegt idyllisch – wenn man unter Idylle versteht: ein windschiefer Bungalow mit Plastikmöbeln, WLAN mit Holzkabel und Nachbarn, die schon um 17:30 Uhr grillen.
Ich werde auf die Terrasse gestellt. Ohne Untersetzer. In praller Sonne. Neben einem Aschenbecher, in dem bereits drei Wespen wohnen. Die Familie packt aus, chaotisch wie eh und je. Niemand redet über mich. Ich war Deko – jetzt bin ich Ballast.
Urlaubstagebuch eines Verdorrenden
Tag 1: Das pubertierende Kind streitet mit dem jüngeren über das WLAN-Passwort. Beide schreien, als hinge ihr Leben davon ab. Die Eltern versuchen, „runterzukommen“. Spoiler: Sie schaffen es nicht. Ich werde nicht gegossen. Dafür pinkelt ein Möwenvogel in meine Nähe.
Tag 2: Alle wollen „an den Strand“. Ich bleibe zurück – in der Mittagshitze. Ein Handtuch wird über mich gehängt, „damit du nicht verbrennst“. Resultat: Ich schwitze wie ein Hydrokultur-Albtraum. Mein Topf ist jetzt ein Mini-Treibhaus. Ich verliere acht Blätter.
Tag 3: Ein Kind schüttet versehentlich Limo in meine Erde. Ich beginne zu kleben. Eine Wespe zeigt Interesse. Ich frage mich: Gibt es Pflanzen, die allergisch gegen Familienurlaub sind?
Tag 4: Es regnet. Alle sind gereizt. Die Mutter schreit, weil die Kinder das Puzzle nass gemacht haben. Der Vater googelt heimlich Rückfahrtoptionen. Ich werde immerhin ein wenig feucht. Leider ist es kein Wasser. Sondern ein Cocktailrest.
Tag 5: Die Katze (ja, sie wurde mitgenommen) entdeckt mich wieder. Krallt sich an meiner Rinde fest. Ich bin nicht überrascht. Nur müde. Der jüngere Sohn will mich mit Sonnencreme einreiben („Damit du keinen Sonnenbrand bekommst!“). Ich hätte fast protestiert – aber ich bin ja nur ein Ficus.
Die große Rückreise – und kleine Hoffnung
Am letzten Tag ist die Stimmung wie nach einer misslungenen Theateraufführung. Alle wollen heim. Niemand spricht mehr miteinander. Ich werde achtlos ins Auto geworfen – quer, Kopf über. Meine Erde rieselt über das Kindersitzpolster. Ich finde es angemessen.
Die Rückfahrt verläuft wie ein Remix der Hinfahrt – nur mit mehr Müdigkeit, mehr Geschrei und einem Bonbon, das in meinem Topf landet und dort zu schmelzen beginnt. Ich sehe meine Lebenszeit vor mir davonschmelzen. Wortwörtlich.
Zuhause: Das bekannte Elend
Zurück im Wohnzimmer. Gleicher Ort. Gleicher Staub. Gleicher Stress. Ich werde abgestellt. Ohne Kommentar. Die Katze checkt meine Rückkehr mit einem prüfenden Blick – so, als wolle sie sagen: „War’s schön ohne mich?“
Und dann passiert es: Der Vater gießt mich. Nur ein bisschen. Aber genug, um zu überleben. Ich weine ein inneres Blatt – vor Rührung. Oder ist es Kalkwasser? Egal. Ich bin zurück. Geschunden, klebrig, urlaubsreif – aber am Leben.
Fazit eines grünen Globetrotters
Urlaub ist kein Zustand. Urlaub ist ein Test. Für Nerven. Für Familien. Für Pflanzen. Ich habe ihn bestanden. Nur knapp. Ich bin Ficus Benjamini. Ich war unterwegs. Ich habe gelitten. Ich habe gesiegt. Ich habe Limo in der Erde – und Albträume von Dachboxen. Aber ich stehe noch. Grün. Zynisch. Und ein bisschen salzig.