Kreativität oder „weiter so“

Sowohl in meiner beruflichen Arbeit als auch in der von der Presse vermittelten Bild der Politik beobachte ich ein interessantes Verhalten:

Man weiß, dass manches im Argen liegt. Defizite sind durchaus bekannt, aber man macht einfach weiter, man reitet das tote Pferd, obwohl nicht einmal der Sattel noch etwas taugt.

Nun habe ich mit logischerweise die Frage gestellt, warum das oft so ist und vermute wichtige Ursachen in den nachstehenden Punkten.

Personalpolitik

Ich fürchte, einen nicht zu unterschätzenden Anteil an diesem Dilemma hat die Personalpolitik, wobei man hier noch differenzierbare Tendenzen erkennen kann – wenn man es denn will.

Spezialist vs. Generalist

Schaut man sich Stellenausschreibungen an, wird man sehr häufig mit äußerst konkreten, spezialisierten Themen konfrontiert. Es scheint offensichtlich zu sein, dass ein Spezialist gesucht wird.

Durch die exponentiell steigende Wissensbasis bedeutet Spezialisierung aber auch, dass das Wissensgebiet auf das man sich spezialisieren kann, immer kleiner wird.

Nachdem unsere Arbeitswirklichkeit jedoch eine immer höhere Komplexität angenommen hat, ist Spezialisierung in meinen Augen nur bedingt erforderlich.

  1. Spezialisierung kann man auch per „training on the job“ erlangen.
  2. Spezialisierung im Vorfeld engt das Blickfeld ein.

Wir stellen also häufig diejenigen ein, die vom Puzzle nur ein oder zwei Teile wirklich sehen können, das ganze Bild bleibt aber so ein Flickenteppich.

angepasst vs. sperrig

Bereits im Vorstellungsgespräch wird abgeprüft, inwieweit der Bewerber „ins Team passt“, also bereits angepasst ist. Der leichteren Führbarkeit werden die Teams immer homogener. Sperrige Typen stören die Abläufe, erfordern mehr „Betreuungsaufwand“ und sind somit „unberechenbare Kostenfaktoren“.

Hier kommt das ABER: Die sperrigen Typen sind es, die neue Impulse ins Unternehmen bringen, die Abläufe hinterfragen, kreative Vorschläge bringen, über das einzelne Puzzleteil hinausschauen und das ganze Bild erfassen und auch vermitteln können. Sie sind es, die die neuen Bilder malen, aus den eingefahrenen Gleisen ausbrechen und neue Wege gehen.

Führungskultur

Führt man den Begriff „Peter-Prinzip“ ins Feld, schafft man sich keine Freunde. Dabei trifft es die Sache immer wieder im Kern.

Verdiente Mitarbeiter werden zu Führungskräften, um sie „bei der Stange zu halten“, mehr Gehalt zu rechtfertigen und ihnen „Verantwortung“ zu geben. Und es funktioniert auch durchaus. Und wieder ein ABER: Führung erfordert Erfahrung auf ganz anderen Gebieten, als diejenigen, auf denen ehemaligen Mitarbeiter erfolgreich unterwegs waren. So werden soziale Kompetenzen auf einmal viel höher gewichtet, als Fachwissen, wirtschaftliche Aspekte höher als Sachtermini. Unternehmerisches Denken wird zwar gefordert, kann aber nicht wirklich immer auch erwartet werden.

Diese neuen Herausforderungen führen dann durchaus zu Verunsicherung und dem Wunsch, den Erwartungshaltungen des Systems Unternehmen gerecht zu werden, möglichst störungsfrei. Kreative Sonderfälle sind hier nicht förderlich und werden dementsprechend auch gern vermieden, eine Konjunkturbremse entsteht.

Versagensängste & Wettbewerb

Führungskräfte stehen in i.d.R. in einem ständigen Wettbewerb um Budget und die Gunst jeder jeweils höheren Chargen. Und nicht nur das! Auch die eigenen Mitarbeiter könnten ja bereits am Stuhl sägen und haben selber Ambitionen auf „höhere Weihen“.

Um dieses Risiko zu vermeiden, versucht man Mitarbeiter zu finden, von denen wenig Risiko in dieser Hinsicht erwartet wird, also Leute unterhalb der eigenen Performance. Wir haben die nächste Konjunkturbremse.

Besitzstandsdenken

Hat man erst einmal sein Pöstchen, möchte man es natürlich auch behalten und verwahrt sich gegen Umstrukturierungen so lange es geht – oder geht letztendlich verbittert und wechselt in andere Unternehmen.

Mit dem eigenen Posten entsteht aber auch ein Netzwerk, den ich manchmal sogar als Sumpf bezeichnen würde. Es wird geklüngelt was das Zeug hält und somit ist Vitamin B wichtiger als Können und Kreativität.

Anreizsysteme

Auch das Anreizsystem der Unternehmen ggü. den Führungskräften ist eher unpraktisch. Das Ergebnis der Kostenstelle wirkt sich in nicht unerheblichem Maße auf das Einkommen der Führungskräfte aus. Der fixe Anteil des Gehaltes ist teilweise derart niedrig, dass Prämien und Zielerfüllung essentiell wichtig für das Einkommen werden, steigen doch auch mit der gehobenen Position auch die persönlichen Ansprüche und somit Lebenshaltungskosten.

Wird nun eine Kostenstelle durch kreative Tätigkeiten, die eher nicht projektgebunden und somit ergebniswirksam sind, in der Produktivität geschmälert, wird das eben auch im Portemonnaie spürbar und ist somit zu vermeiden.

Nichtmonetäre KPI’s wie Teamzufriedenheit, Kündigungsquote, Innovationsfreude werden eher selten in der Zielerreichung herangezogen. Somit hätten wir schon wieder eine Konjunkturbremse.

Fehlerkultur

Was schimpfen wir doch gern und ausführlich über die „blöden Amerikaner“, ihren Pragmatismus und ihre Großspurigkeit, ärgern uns dann aber im Umkehrschluss über den Erfolg amerikanischer Unternehmen und neiden ihn sogar.

Dabei vergessen wir aber gern einen durchaus bedeutenden Unterschied: die Fehlerkultur.

Während man in der neuen Welt Fehler als zu lösendes Problem ansieht, schaut man in der alten Welt zunächst auf den oder die Verursacher. Das bindet unnötige Kapazitäten und verhindert nebenbei auch die Kreativität, die ein Scheitern nicht ausschließt. Ein Teufelskreis.

Summa Sumarum

Für das „Weiter so“ trotz besseren Wissens gibt es also mehr als genug Gründe. Ein paar davon habe ich beleuchtet.

Als selber durchaus unternehmerisch denkender Mensch sehe ich durch die angedeuteten Verhalten eine Konjunkturbremse sondergleichen, zumal dieses Verhalten nicht exklusiv für die Wirtschaft gilt, sondern auch die Politik.

Kreativität ist leider Mangelware.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.