Zeit: Die Formel Vorgestern

Was für ein Beitrag in der Zeit – Die Formel Vorgestern. Was hat Jan Freitag hier nur geritten?! Vielmehr noch, was hat die Zeit geritten, diesen Kommentar zu veröffentlichen? Ist das nicht ein Abschied vom Qualitätsjournalismus?

Die Argumente, weshalb die Formel 1 anachronistisch ist, sind noch nicht einmal falsch – es gäbe also genug Gründe für die Abschaffung dieser Sportart.

Warum mich der Artikel aufregt? Gut, es ist „lediglich“ ein Kommentar, der auch durchaus mit persönlichen Meinungsbildern gespickt sein darf. Aber sind die Argumente in ihrer Art der Darbringung nicht ein Fauxpax sondergleichen?

Formel 1 den Sportcharakter abzuschreiben, ist bereits der erste grobe Fehler. Dass die Sportart durch ihre Regularien viel von ihrem Reiz verloren hat, ist sicher ein diskutabler Fakt, den Wettkampf gibt es aber nach wie vor.

Formel 1 den Innovationscharakter abzuschreiben ist ebenfalls ein Fehler, schließlich werden hier tatsächlich auch heute noch Neuerungen getestet, die irgendwann im Serienfahrzeug landen. Natürlich ist der Kraftstoffverbrauch im Rennen irrational hoch und ein Regularium für eine maximale Kraftstoffmenge würde interessante Änderungen in der Technik nach sich ziehen, bei der Anzahl der Motoren hat es ja auch schon geklappt.

Das Machismo in der Formel 1 zu beklagen, klingt für mich eher nach #metoo, als nach sinnhafter Argumentation. Frauen im Rennsport hat es immer gegeben. Liliane Roehrs, Maria Teresa de Filippis, Lella Lombardi, Desiré Wilson, Ellen Lohr seien mal exemplarisch genannt. Der Mangel an weiblichen Engagement im Motorsport liegt m.E. eher weniger am Machismo der Formel 1, die Rennserie steht auch Frauen offen und es wird langsam wieder Zeit, dass sich ein Talent aus der Damenwelt ins Cockpit setzt.

Werbung

„Sex sells“

Die Perversion des Profisports liegt m.E. im u.a. an einer nahezu ungeregelten, unkontrollierten und unreflektierten Werbekultur.

„Sex sells“ ist die anachronistischste Werbeformel, nach der bis heute immer noch gearbeitet wird. Hier ist der „machismo maximo“ zu Hause. Die HUK-Coburg zeigt bis heute Werbung, bei denen (logischerweise) die Frau der Unfallverursacher ist.

Finanzielles Perpetuum Mobile

Die milliardenschwere Werbeindustrie hat es extrem erfolgreich geschafft, „Bedeutung“ zu erlangen, ein finanzielles Perpetuum Mobile. In dem man permanent die eigene Wirksamkeit „nachweist“1, darf man ja auch gleich „liefern“, was wieder neue Umsätze generiert.

Schaut man sich nur die aktuellen Werbeclips in TV und Internet an, sind diese m.E. eher nervig als verkaufsfördernd. Die Werbeagenturen scheinen diesbezüglich einen Wettbewerb ausgerufen zu haben. Check24, secret escape sind hierbei lediglich die Spitze des Eisbergs.

Werbebudget vs. Development

Unternehmen stecken unglaublich viel Geld in Werbung, und fast scheint es mir, je ungesünder und unmoralischer, umso mehr Werbebudget ist vorhanden.

Auch scheint es mir, als würde mit dem hohen Werbebudget die Weiterentwicklung der jeweiligen Produkte gebremst.

An wirklich belastbare Zahlen zu kommen, ist leider nur mit großem Aufwand möglich. Gefühlt hat aber das Werbebudget das Entwicklungsbudget in so mancher Firma übertroffen.

Verantwortungslosigkeit

Wer zahlt, schafft an – so auch bei den Werbeagenturen. Aber ganz ehrlich – warum muss man für Produkte Werbung machen, die nachgewiesenermaßen umwelt2– oder/und gesundheitsschädlich3 sind? Macht man sich nicht hier zum Helfershelfer?

Verschleierung Urheberschaft

Nachdem Werbung in vielen Fällen „anonym“ bleibt, die Werbeagenturen i.d.R. „unsichtbar“ bleiben, ist es natürlich auch einfach, die „weiße Weste“ zu behalten. So kann man eben neben Babyprodukten auch gleich für Waffen Werbung gestalten, ohne dass es auffällt.

Werbung & Sport

Was sicher ursprünglich eine gute Idee war, hat sich zum Moloch entwickelt, in dem unglaubliche Geldmengen fließen und damit natürlich auch entsprechende Begehrlichkeiten weckt und Korruption fördert.

Aber jetzt nur die Werbung als Schuldigen hinzustellen, wäre vermessen.

Werbung & Medien

Eine logische, wenn auch „unheilige Allianz“ stellt die Werbung in Verbindung mit den Medien4 dar.

Mit der Privatisierung der Medien – bzw. der Freigabe von Medien für die Privatwirtschaft – hat sich ein System entwickelt, was sich gegenseitig bedingt und immer weiter gegenseitig zu Spitzenumsätzen anfeuert.

Sendeinhalte durch Werbung zu zerstückeln ist Gang und Gäbe und auch hier wirkt in meinen Augen das von der Politik proklamierte Instrument der Selbstkontrolle nicht.

Gerade die Vergabe von Übertragungslizenzen der Vereine und -verbände, aber auch einzelner Sportler in Verbindung mit Werbemaßnahmen stellt ein kritisch zu sehendes Konstrukt an Verträgen dar, dessen Ergebnis in einem finanziellen Kreislauf endet. Wertschöpfung und Moral bleiben dabei weitestgehend außen vor.

Vereine, Verbände

Sport ist i.d.R. Vereinssache, natürlich bitte ohne staatliche Einmischung. Selbstkontrolle – Fehlanzeige, ein gemachtes Feld für mafiöse Strukturen und Verbände.

Gerade der Sport ist wieder einmal das beste Beispiel, dass ungesteuerter Kapitalismus zu Schieflagen führt. Die ungerechte Verteilung von Geldern zwischen den Sportarten hatte ich ja bereits in einem Artikel kritisiert.

Club der alten, weißen Männer

Jan Freitag hatte es erwähnt – die Führung der Sportvereine und -verbände liegt üblicherweise in der Hand der bereits zur Schimpffloskel erhobenen „alter, weißer Männer“. Deren Machismo und anachronistischer Wertebilder hat sich gerade in den letzten Jahren sehr deutlich gezeigt. Verurteilungen wegen Steuerhinterziehung, Zollvergehen, obszön teuerer Geschenke, gekaufter Veranstaltungen sind in den Medien recht häufig zu lesen.

Auch hier fehlt – ähnlich wie in der Politik – eine Begrenzung des Alters der „Führungskräfte“.

Ausgleich

Dass die Führung von Sportvereinen sich aus erfolgreichen Sportlern rekrutiert, ist absolut nachvollziehbar und verständlich. Allerdings haben sich auch hier aufgrund finanzieller Eliten Sportarten herauskristallisiert, deren Bedeutung sich in einer Spirale über Gebühr entwickelt hat.

Dass die ehemaligen Sportler natürlich ihre eigenen Sportarten überdurchschnittlich fördern (wollen), ist verständlich. Es wird allerdings Zeit, dass auch hier Regularien eingeführt werden, die Sportarten außerhalb Fußball und Formel 1 eine Chance geben!

Fazit

Jan Freitag hat in meinen Augen wunderbare Chancen verpasst, jenseits der Polemik und „Mimimi“-Kultur eine tiefgreifende Analyse zu betreiben und mit emotionsloseren Argumenten für eine Abschaffung der Umwelt-, Moral- und Gewissensverschmutzung einzutreten.

Auch ein Kommentar sollte dem Leser die Möglichkeit geben, eine eigene Meinung aufgrund von Fakten zu generieren und sich dann einem Fazit anzuschließen oder auch nicht.

Vielleicht wollte die ZEIT „nur provozieren“, indem dieser Kommentar in die Zeitung aufgenommen wurde. Provokation sollte mit Stil erfolgen. Wie schnell aus ehemals durchaus seriösen Blättern billige Mainstream-Massenware werden kann, zeigen schließlich Magazine wie „Stern“, „Focus“ und mittlerweile sogar die „Süddeutsche“.

Die Formel 1 ist das Kind eines Bernie Ecclestone (Baujahr 1930). Viel mehr muss man gar nicht mehr sagen. Alte Männer mit viel zu viel Macht führen das einstmals Gut gemeinte ins Desaster.

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