Kann man das Gegenteil von Egoismus tatsächlich effektiv gestalten? Das suggeriert zumindest der Begriff des „effektiven Altruismus“, den ich in einem Podcast vom SWR das erste mal gehört habe. Man lernt eben nie aus und mal wieder völlig neue Konzepte kennenlernen ist doch spannend!
Also ist es mal wieder daran, das Thema aus verschiedenen Punkten zu „beleuchten“.
Worum geht es? Es geht zunächst erst einmal darum, Gutes zu tun, und das mit möglichst großem Erfolg bei (vergleichsweise) geringem Einsatz. So wird es jedenfalls auch auf der Homepage des Effektiven Altruismus erklärt.
Ein Beispiel – gibt man einem Bettler in einer Einkaufsstraße einen Euro, ist die Wirksamkeit des Euros relativ begrenzt. Der selbe Euro hat aber in Ländern der Dritten Welt eine viel größere Mächtigkeit. Also sollte man lieber ins Ausland spenden, als vor Ort. Im Podcast werden auch Beispiele gebracht, dass Menschen nicht eben geringe Teile ihres (hohen) Gehalts für die Gemeinnützigkeit spenden.
Was soll man davon nur halten? Ist das ethisch und moralisch korrekt?
Wirtschaftliche Betrachtung
Die Grundidee ist erst einmal richtig. In Ländern mit niedrigerem Lohn- und Preisniveau ist eine Spende effektiver, so lange man nicht das Gesamtsystem betrachtet. Ich möchte jetzt nicht mit einer abgedroschenen aber wahren Floskel daherkommen, dass wir in den reichen Ländern für die Armut der Dritten Welt verantwortlich sind.
Wenn man aber genau hinschaut, verdient die Erste Welt an Produkten, die sie vermeintlich billig in die Dritte Welt verkauft immer noch viel Geld – sehr zu Lasten der Menschen in den armen Ländern. Die Produkte aus unserer reichen Welt werden i.d.R. kostentechnisch höchst effizient produziert, was letztendlich auch eine Gewinnspanne bei Billigverkäufen ermöglicht. Die merkantile Effizienz basiert üblicherweise auf einem hohen Technisierungsgrad, der in der Dritten Welt weder als Invest noch aus Knowhow-Gründen kaum oder gar nicht möglich ist.
Damit werden Arbeitsplätze in der Dritten Welt zerstört, die mit noch so niedrigen Lohnkosten bei der Produktion derselben Güter kostentechnisch nicht mithalten können.
Die wirtschaftliche Betrachtung geht also schon einmal zu Ungunsten des Effektiven Altruismus aus. Schließlich wandert der gespendete Euro in großen Teilen zurück in die Industrienationen.
Moral
Ist der Effektive Altruismus nun aber moralisch? Aber natürlich – oder doch nicht?! Moral bezeichnet schließlich lediglich Konventionen oder Handlungsmuster von Individuen und Kulturen.
Schlüsseln wir es wieder einmal auf:
Man spendet in die armen Regionen – nach gängigen Konventionen ist das ein äußerst moralisches Verhalten, sofern man das Spenden als bedingungs- und gesellschaftlich wirkungsfreien Akt erfüllt. So bedingungslos ist das Spenden aber oft nicht.
Das Zitat des KPD-Politikers ist ebenso richtig wie falsch – richtig, weil es zum Nachmachen inspirieren soll, falsch, weil es in unserer Ego-zentrierten Welt zum Werbemittel degradiert.
Man spendet dem Bettler vor Ort nicht – unmoralisch, weil nach außen als geizig interpretierbar. Geiz ist eine der Hauptlaster nach christlicher Tradition.
Doch nicht nur das! Betrachtet man die „Gleichheit aller Menschen“, mit welchem Recht bevorzugt man die Menschen in der Dritten Welt? Welche Schuld hat der Bettler vor Ort auf sich geladen, um in einer Industrienation auf der Straße zu landen? Mit welchem Recht belastet man die Gesellschaft vor Ort, indem man dem Bettler hier die Hilfe versagt?
Also moralisch ist der Effiziente Altruismus allerhöchstens zu 25%!
Ethik
Cicero sah die êthikê als philosophia moralis, also den Versuch, das Handeln der Menschen in deren Konventionen zu deuten, zu ergründen und zu bewerten. Also deuten, ergründen und bewerten wir!
Was ist eine Spende? Kann sie überhaupt wertfrei gesehen werden?
Bereits in der jüdischen Tradition ist die Spende als „Zehnt“ fest verankert und in das Grundverständnis und somit in die Konventionen der alttestamentarischen Gesellschaft eingebrannt, auch wenn es sich beim Zehnt um eine Art Steuer handelte.
Im Neuen Testament verfestigt sich die Tradition des Spendens nochmals.
Ebenso wird im Islam die Spende hochgehalten.
Das Spenden jetzt aber nur als erlernte Verhaltensweise abzutun wäre jedoch falsch, zeigen Primaten doch auch durchaus uneigennütziges Verhalten.
Einfach ist es mit der Spende also nicht wirklich. Sie vereinigt also inneres Bedürfnis, gesellschaftliche Konvention und – tja leider eben auch Vorteilsnahme, die noch gar nicht weiter betrachtet wurde.
Vorteilsnahme
Die Bandbreite der Vorteilsnahme aus dem „altruistischen“ Spenden heraus ist durchaus vielfältig.
Steuerlich können Spenden durchaus sich positiv auf die individuelle Gesamtbilanz auswirken, ebenso in Bezug auf Popularität, gesellschaftlichem Ansehen oder als Kompensation für amoralisches Verhalten1.
Effizienz
Zweifel kommen mir bei der Spendendiskussion auch in Bezug auf die Effizienz auf.
Ein dem Bedürftigen in die Hand gelegter Euro kommt zu 100% beim Empfänger an, über Organisationen ist dies auch bei höchster vermuteter Ehrlichkeit schon aufgrund von Geldtransferkosten nicht gegeben.
Somit würde ein Blick auf das Gesamtsystem schon für Klarheit sorgen.
spendenorientierte Berufswahl
Es gibt vermutlich fast keine Branche, die hoch dotierte Jobs in Aussicht stellt, die nicht auf der Ausbeutung in irgendeiner Form basieren – man muss nur mit Systemblick drauf schauen. Zudem sind hochdotierte Anstellungen i.d.R. an eine kostspielige Ausbildung2 gekoppelt, die zudem schnell mit Elitenbildung und Ego-Zentrierung einhergeht.
Hoch- oder zumindest gut dotierte Jobs haben allerdings nicht zwangsweise etwas mit einem hohen Nettoeinkommen zutun, betrachtet man die Lebenunterhaltskosten der Protagonisten. Das ist ein Aspekt, der in die Gesamtrechnung auf jeden Fall mit einkalkuliert werden muss. Sind also Spenden von 20% und mehr möglich, handelt es sich um Einkommen, das ansich schon „amoralisch“ hoch sein dürfte. Dann fällt das Spenden auch leicht – siehe Markus 12, 41-44.
Résumé
So wirklich altruistisch sieht der „Effiziente Altruismus“ nicht mehr aus!
Die vom Begriff assoziierte Selbstlosigkeit kann eigentlich nur nachgewiesen werden, wenn man tatsächlich ohne Hintergedanken, ohne Vorteilsnahme, ohne gesellschaftliche Konventionen und – ohne wirtschaftliches Verständnis an das Spenden herangeht.
Entgegen dem offensichtlich inherenten Ziels des „Effizienten Altruismus“ einer „uneigennützigen Denk- und Handlungsweise“ ist vom Ergebnis her zumindest eine latente Bevorzugung der eigenen Gesellschaft nachweisbar, ob nun bewusst oder nicht.
Je länger ich über den Begriff „Effizienter Altruismus“ nachdenke, umso mehr kommt es mir vor, als würden Restpubertierende einen Weg des „Protestes“ gegen die Elterngeneration suchen, deren Früchte sie aber genießen.