a number of owls are sitting on a wire

Effektiver Altruismus

Kann man das Gegenteil von Egoismus eigentlich planen? Steuern? Optimieren? „Effektiver Altruismus“ nennt sich das Konzept, das genau das versucht – und das mir neulich zum ersten Mal in einem SWR-Podcast begegnete. Der Begriff klingt zunächst wie ein Widerspruch in sich: Effektivität, das klingt nach Zahlen, Kennziffern, nach Management und Controlling. Altruismus hingegen – das ist doch Gefühl, Haltung, Menschlichkeit. Und trotzdem: Je länger man darüber nachdenkt, desto reizvoller wird die Idee, Gutes nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht anzugehen.

Wieder einmal zeigt sich: Man lernt nie aus. Und manchmal reicht ein einziger Begriff, um den Blick auf eine vertraute Idee – hier: die Nächstenliebe – radikal neu zu justieren. Effektiv Gutes tun? Klingt irgendwie verstörend. Aber auch nach einer Einladung zum Weiterdenken.

Also ist es mal wieder daran, das Thema aus verschiedenen Punkten zu „beleuchten“.

Worum geht es? Es geht zunächst erst einmal darum, Gutes zu tun, und das mit möglichst großem Erfolg bei (vergleichsweise) geringem Einsatz. So wird es jedenfalls auch auf der Homepage des Effektiven Altruismus erklärt.

Konkret bedeutet das: Mit den vorhandenen Ressourcen – sei es Zeit, Geld oder Einfluss – den größtmöglichen positiven Effekt erzielen. Es ist eine Art Return-on-Investment für ethisches Handeln. Der moralische Euro soll nicht irgendwo verpuffen, sondern wirken. Und zwar nachweisbar.

Dahinter steht ein Gedanke, der verblüffend rational daherkommt: Wenn schon helfen, dann bitte nicht aus dem Bauch heraus, sondern auf Basis von Daten, Studien und Wirkungskriterien. Die Frage lautet nicht mehr nur „Wie kann ich helfen?“, sondern: „Wo bewirkt meine Hilfe am meisten?“ Die romantische Vorstellung vom Spenden an der Straßenecke trifft hier auf die kühle Präzision der Kosten-Nutzen-Analyse.

Das wirkt auf den ersten Blick irritierend – gerade weil wir Hilfe gern mit spontaner Herzensgüte verbinden. Doch der Effektive Altruismus sagt: Moralisches Handeln darf auch effizient sein. Muss es sogar, wenn wir die begrenzten Mittel, die uns als Einzelnen und als Gesellschaft zur Verfügung stehen, bestmöglich einsetzen wollen.

Ein Beispiel – gibt man einem Bettler in einer Einkaufsstraße einen Euro, ist die Wirksamkeit dieses Euros relativ begrenzt. Er wird vielleicht in einen Kaffee, eine Zigarette oder ein Stück Brot investiert – kurzfristige Wirkung, begrenzter Horizont. Derselbe Euro aber entfaltet, korrekt kanalisiert, in einem Entwicklungsland ein Vielfaches seiner Kraft: Er kann Medikamente finanzieren, lebensrettende Impfungen ermöglichen oder den Schulbesuch eines Kindes sichern.

Daraus folgt die provokante These: Wer vor Ort hilft, verschwendet Potenzial. Also lieber ins Ausland spenden, als lokal handeln? Diese Sichtweise ist Teil der Logik des Effektiven Altruismus. Sie zieht eine Bilanz, die nüchtern ist – und genau deshalb so schwer auszuhalten.

Im Podcast wird berichtet, dass es Menschen gibt, die nicht nur symbolische Beträge, sondern signifikante Teile ihres Einkommens spenden. 10, 20, manchmal sogar 50 Prozent – systematisch, planvoll, jährlich. Und nein, es sind nicht alles Millionäre. Es sind Menschen mit dem festen Vorsatz, ihr Leben nicht nur zu leben, sondern es wirksam zu machen – für andere.

Doch was soll man davon nur halten? Ist das ethisch und moralisch korrekt? Oder ist es vielleicht sogar ein neuer, subtiler Moralismus – eine Art moralischer Leistungssport, bei dem die Effizienz zur neuen Tugend wird? Und: Wo bleibt dabei der spontane Impuls, der Blickkontakt, die unmittelbare menschliche Begegnung?

Die Frage bleibt: Ist Hilfe, die auf Distanz geschieht, automatisch besser – nur weil sie rechnerisch effizienter ist? Oder verlieren wir auf dem Weg zur moralischen Optimierung nicht auch etwas Wesentliches?

Wirtschaftliche Betrachtung

Die Grundidee ist erst einmal richtig. In Ländern mit niedrigerem Lohn- und Preisniveau ist eine Spende effektiver, so lange man nicht das Gesamtsystem betrachtet. Ich möchte jetzt nicht mit einer abgedroschenen, aber wahren Floskel daherkommen, dass wir in den reichen Ländern für die Armut der Dritten Welt verantwortlich sind.

Aber ein genauer Blick zeigt: Es ist komplizierter – und unbequemer. Denn während wir hier spenden, schöpfen wir dort immer noch ab. Die Erste Welt verdient auch heute noch an Produkten, die sie vermeintlich günstig in ärmere Länder verkauft – mit Margen, die für unsere Verhältnisse klein wirken mögen, aber für lokale Märkte zerstörerisch sind. Die wirtschaftliche Asymmetrie bleibt bestehen, selbst wenn sie sich inzwischen in fairem Design und NGO-Siegeln tarnt.

Die Produkte aus der reichen Welt werden in der Regel mit maximaler Effizienz hergestellt – industriell, automatisiert, auf Skalen, von denen lokale Produzent:innen im globalen Süden nur träumen können. Die damit verbundenen Preisvorteile lassen sich in Entwicklungsländern weder durch billige Löhne noch durch handwerkliches Know-how kompensieren. Es ist ein Wettlauf, bei dem das Startsignal für viele nie ertönt.

Die Folge: Lokale Märkte brechen weg, handwerkliche Strukturen verlieren ihre Existenzgrundlage, und Entwicklung wird durch ein Überangebot an scheinbar „billigen“ Importen ausgebremst. Der gespendete Euro schafft vielleicht kurzfristige Hilfe, aber langfristig auch neue Abhängigkeiten.

Die wirtschaftliche Betrachtung kippt also schnell. Was zunächst nach globaler Effizienz aussieht, entpuppt sich als Rückführungskreislauf. Denn ein erheblicher Teil der Spendenmittel fließt – direkt oder indirekt – über Produkte, Dienstleistungen oder Verwaltungsstrukturen wieder zurück in die industrialisierte Welt. Es entsteht ein Kreislauf, in dem Gutes tun zum Geschäftsmodell wird – und das Empfangen zur Dauerschleife.

Effektiver Altruismus? Vielleicht. Aber wirtschaftlich betrachtet bleibt ein schaler Beigeschmack: Wenn Hilfe systematisch dorthin geht, wo sie effizient erscheint, aber unbemerkt eine Ökonomie am Leben hält, die von globaler Ungleichheit profitiert – ist das dann wirklich Hilfe? Oder einfach nur ein besonders clever verpackter Exportüberschuss mit moralischem Etikett?

Moral

Ist der Effektive Altruismus nun aber moralisch? Aber natürlich – oder doch nicht?! Moral bezeichnet schließlich lediglich Konventionen oder Handlungsmuster von Individuen und Kulturen. Sie ist ein gesellschaftliches Konstrukt, kein Naturgesetz. Was in einer Kultur als moralisch gilt, kann in einer anderen als zynisch erscheinen – und umgekehrt.

Schlüsseln wir es wieder einmal auf:

Man spendet in die armen Regionen – nach gängigen Konventionen ist das ein äußerst moralisches Verhalten, sofern man das Spenden als bedingungs- und gesellschaftlich wirkungsfreien Akt erfüllt. So bedingungslos ist das Spenden aber oft nicht. Es ist häufig verknüpft mit Erwartungen, Sichtbarkeit oder zumindest einem stillen inneren Bedürfnis, sich selbst als „guten Menschen“ zu erleben.

Tue Gutes und rede darüber.

Das Zitat des KPD-Politikers ist ebenso richtig wie falsch – richtig, weil es zum Nachmachen inspirieren soll. Falsch, weil es – einmal im Marketing angekommen – in unserer Ego-zentrierten Welt zum Werbemittel degradiert. Die moralische Geste wird zur Währung der Selbstinszenierung.

Und damit zur Doppelmoral: Man spendet dem Bettler vor Ort nicht – unmoralisch, weil nach außen als geizig interpretierbar. Geiz ist eine der Hauptlaster nach christlicher Tradition. Aber man spendet ins Ausland – moralisch, weil effizient? Ausgerechnet dort, wo man niemandem in die Augen schauen muss?

Doch nicht nur das! Betrachtet man die „Gleichheit aller Menschen“, stellt sich eine unbequeme Frage: Mit welchem Recht bevorzugt man das Leben in der Dritten Welt gegenüber dem des Obdachlosen vor dem eigenen Supermarkt? Welche Schuld hat der Bettler vor Ort auf sich geladen, um übersehen zu werden? Ist seine Not weniger wert, nur weil sie nicht in eine Excel-Tabelle passt?

Und was heißt es für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, wenn Hilfe nicht mehr dort geschieht, wo sie sichtbar ist, sondern dort, wo sie den größten Output verspricht? Wird Moral damit zur Funktion von Zahlenverhältnissen?

Kurz gesagt: Der Effektive Altruismus will das Gute – aber oft zum Preis des unmittelbaren, menschlichen Moments. Moralisch ist das, wenn überhaupt, eine Teilmenge eines größeren Ganzen. Vielleicht 25 Prozent – wenn man sehr großzügig rechnet.

Ethik

Cicero sah die êthikê als philosophia moralis, also den Versuch, das Handeln der Menschen in deren Konventionen zu deuten, zu ergründen und zu bewerten. Also deuten, ergründen und bewerten wir!

Was ist eine Spende? Kann sie überhaupt wertfrei gesehen werden? Oder trägt jede Spende – ob sichtbar oder nicht – bereits die Spuren ihrer kulturellen, religiösen und psychologischen Prägung?

Bereits in der jüdischen Tradition ist die Spende als „Zehnt“ fest verankert und in das Grundverständnis und somit in die Konventionen der alttestamentarischen Gesellschaft eingebrannt, auch wenn es sich beim Zehnt um eine Art Steuer handelte.

Und aller Zehnte des Landes, vom Samen des Landes, von der Frucht der Bäume, gehört dem HERRN; er ist dem HERRN heilig.3. Mose 27,30

Im Neuen Testament verfestigt sich die Tradition des Spendens nochmals. Und mit ihr der moralische Rahmen: Es kommt nicht auf die Summe an – sondern auf das Opfer, das sie bedeutet.

Die vorbildliche Witwe: Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel. 42 Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein. Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hineingeworfen; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles hergegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.Markus 12, 41-44

Ebenso wird im Islam die Spende nicht nur als soziale Geste verstanden, sondern als spirituelle Pflicht – tief verwurzelt im Glauben an eine höhere Gerechtigkeit und als Ausgleich für weltliche Ungleichgewichte.

Sag zu Meinen Dienern, die glauben, sie sollen das Gebet verrichten und von dem, womit Wir sie versorgt haben, heimlich und öffentlich (als Spende) ausgeben, bevor ein Tag kommt, an dem es weder Verkaufen noch Freundschaften gibt.Sure Ibrahim (14), Vers 31

All das verweist auf eine ethische Konstante durch die Zeiten: Spenden ist nicht nur Handlung, sondern Haltung – ein moralisches Signal an das eigene Gewissen, an die Gemeinschaft, an das Göttliche. Es steht nie völlig für sich selbst.

Das Spenden jetzt aber nur als erlernte Verhaltensweise abzutun, wäre jedoch zu kurz gegriffen. Denn auch jenseits religiöser und kultureller Prägung zeigen Primaten uneigennütziges Verhalten. Offenbar liegt ein Element davon tiefer: biologisch, vielleicht evolutionär verankert – ein Impuls, der unter bestimmten Bedingungen den Eigennutz überwindet.

Einfach ist es mit der Spende also nicht wirklich. Sie vereinigt inneres Bedürfnis, gesellschaftliche Konvention – und, tja, leider eben auch: Vorteilsnahme. Eine Dimension, die allzu oft übersehen wird, obwohl sie im Schatten jedes Spendenakts mitläuft. Die ethische Bewertung beginnt also genau dort, wo es unbequem wird: beim Blick auf das, was wir nicht laut aussprechen.

Vorteilsnahme

Die Bandbreite der Vorteilsnahme aus dem „altruistischen“ Spenden heraus ist durchaus vielfältig. Und sie ist subtil. Wer glaubt, dass Spenden immer selbstlos ist, unterschätzt die psychologische wie auch die gesellschaftliche Architektur unserer Handlungen.

Steuerlich können Spenden sich positiv auf die individuelle Gesamtbilanz auswirken – ein willkommener Nebeneffekt, der in keiner Spendenkampagne groß thematisiert wird, aber in keinem Jahresabschluss fehlt. Der moralische Glanz des Gebens trifft hier auf das pragmatische Glitzern des Nettoeffekts.

Auch die soziale Rendite ist nicht zu unterschätzen: Spenden erhöht das gesellschaftliche Ansehen. Es signalisiert Mitgefühl, Verantwortung und Großzügigkeit – allesamt Attribute, die sich in nahezu jedem beruflichen oder sozialen Kontext gut verkaufen lassen. Man spendet nicht nur Geld, man kauft sich auch moralisches Kapital.

Und dann ist da noch ein besonders spannender Mechanismus: die Kompensation. Spenden als Ausgleich für anderes Verhalten, das nicht so ganz zu den eigenen Idealen passt. Der SUV in der Einfahrt, der Urlaub auf Bali, die Überstunden für einen Konzern, dessen Menschenrechtspolitik zumindest diskutabel ist – sie alle verlieren an Schärfe, wenn man ein paar Hundert Euro im Jahr „zurückgibt“ 1.

Kurz gesagt: Die Motive hinter Spenden sind oft ein komplexes Gemisch aus ethischem Impuls und persönlichem Kalkül. Das macht das Spenden nicht falsch – aber eben auch nicht automatisch „rein“. Altruismus ist oft mit einem Preisetikett versehen. Die Frage ist nur: Wer liest es – und wer übergeht es höflich?

Effizienz

Zweifel kommen mir bei der Spendendiskussion auch in Bezug auf die Effizienz auf.

Ein dem Bedürftigen in die Hand gelegter Euro kommt zu 100 % beim Empfänger an – unmittelbar, sichtbar, ohne Umweg. Keine Verwaltung, keine Transaktionskosten, keine Fundraising-Abteilung, die mit einem Teil der Spende den nächsten Spendenaufruf finanziert. Es ist der direkteste Akt des Gebens. Und doch wird er im Kontext des Effektiven Altruismus oft als „ineffizient“ abgetan – weil er lokal ist, weil er nicht skalierbar ist, weil er nicht messbar optimiert werden kann.

Spenden über Organisationen – so professionell und gut gemeint sie auch sein mögen – bergen zwangsläufig Reibungsverluste. Selbst bei höchster vermuteter Integrität entstehen Transferkosten, Verwaltungsaufwand, personelle Ressourcen. Die Spende wird ein Produkt, das entlang einer Kette verarbeitet, dokumentiert und verteilt wird. Aus einem Akt der Menschlichkeit wird eine operationale Maßnahme mit Projektcode.

Zudem entsteht ein weiteres Problem: die Fragmentierung. Unzählige Organisationen, Projekte und Initiativen konkurrieren um Aufmerksamkeit und Mittel. Jeder hat seine Kennzahlen, seine Erfolgsgeschichten, seine Förderlogik. Die Spende, die wirken soll, muss sich durch ein System kämpfen, das in sich selbst auf Effizienz getrimmt ist – und doch oft am System selbst scheitert.

Somit würde ein Blick auf das Gesamtsystem schon für Klarheit sorgen. Wer profitiert in letzter Instanz von der „effizienten“ Hilfe? Wer definiert die Kriterien? Und welche Formen der Hilfe fallen durch das Raster, weil sie sich nicht in Impact-Metriken übersetzen lassen?

Effizienz klingt gut – aber vielleicht ist sie nur eine weitere Brille, durch die wir die Welt betrachten, weil sie uns ein Gefühl von Kontrolle gibt. Gutes Handeln aber war nie vollständig kontrollierbar. Und vielleicht ist genau das seine tiefere Qualität.

spendenorientierte Berufswahl

Es gibt vermutlich fast keine Branche, die hoch dotierte Jobs in Aussicht stellt, die nicht auf der Ausbeutung in irgendeiner Form basieren – man muss nur mit Systemblick draufschauen. Ob Mode, Tech, Finanzen, Pharma oder Rohstoffe: Irgendwo entlang der Wertschöpfungskette wird gedrückt, gespart, externalisiert. Der Preis für das hohe Gehalt wird nicht selten anderswo gezahlt – von Menschen, Märkten oder Ökosystemen, die sich nicht wehren können.

Zudem sind hochdotierte Anstellungen in der Regel an eine kostspielige Ausbildung2 gekoppelt. Die Eintrittskarte in diese Gehaltswelten ist nicht bloß Intelligenz, sondern auch Kapital – ökonomisches, soziales und kulturelles. Daraus entsteht schnell Elitenbildung, nicht selten begleitet von einer gewissen intellektuellen Abschottung und Ego-Zentrierung, die man sich leisten können muss.

Hoch- oder zumindest gut dotierte Jobs haben allerdings nicht zwangsweise etwas mit einem hohen Nettoeinkommen zu tun, betrachtet man die Lebensunterhaltskosten der Protagonist:innen. Wer in San Francisco lebt, in Zürich pendelt oder in München eine Drei-Zimmer-Wohnung finanziert, muss andere Maßstäbe anlegen als jemand mit gleichem Brutto in ländlicher Umgebung. Das ist ein Aspekt, der in die moralische Gesamtrechnung des Spendens auf jeden Fall mit einkalkuliert werden muss.

Denn wenn Spenden von 20 % oder mehr des Einkommens möglich sind, handelt es sich in vielen Fällen um Einkommen, das an sich schon „amoralisch“ hoch sein dürfte – zumindest gemessen an globalen Verhältnissen. Die Frage, ob jemand 50.000 Euro im Jahr spendet, sagt wenig, wenn er oder sie 300.000 verdient. Dann fällt das Spenden auch leicht – siehe Markus 12, 41–44.

Was als ethisches Opfer erscheint, ist oft nur der Preis für ein gutes Gefühl. Wer aus einer privilegierten Position heraus großzügig agiert, verdient möglicherweise weniger Applaus als Selbstreflexion. Denn vielleicht wäre es moralisch sinnvoller, erst gar keinen Beruf zu wählen, der auf systemischer Ausbeutung beruht – anstatt später das „Übriggebliebene“ zurückzugeben.

Résumé

So wirklich altruistisch sieht der „Effiziente Altruismus“ nicht mehr aus.

Die vom Begriff assoziierte Selbstlosigkeit kann eigentlich nur dann Bestand haben, wenn man tatsächlich ohne Hintergedanken, ohne Vorteilsnahme, ohne gesellschaftliche Konventionen – und ja, auch ohne wirtschaftliches Kalkül – an das Spenden herangeht. Eine fast utopische Vorstellung in einer Welt, in der selbst Empathie längst ökonomisiert wurde.

Entgegen dem erklärten Ziel des Effektiven Altruismus – nämlich einer uneigennützigen Denk- und Handlungsweise – ist vom Ergebnis her zumindest eine latente Bevorzugung der eigenen Wertewelt, der eigenen moralischen Ordnung und, nicht selten, der eigenen Gesellschaftsstruktur nachweisbar. Ob bewusst oder unbewusst: Der moralische Kompass bleibt westlich kalibriert.

Denn wer entscheidet eigentlich, was „wirksam“ ist? Wer legt fest, welche Leben rettenswerter, welche Notlagen relevanter, welche Systeme unterstützenswerter sind? Auch der Effektive Altruismus ist nicht frei von kulturellen Prägungen – er trägt sie nur im Maßanzug.

Je länger ich über den Begriff „Effizienter Altruismus“ nachdenke, desto mehr erscheint er mir wie ein intellektuell veredelter Ablasshandel: Rechenschaft durch Rationalität ersetzt Reue. Es wirkt, als hätten einige besonders reflektierte Menschen einen Weg gefunden, moralisches Handeln in einem Excel-Sheet unterzubringen – und dabei das gute Gefühl gleich mit einzupreisen.

Oder anders gesagt: Als würden spätpubertierende Weltverbesserer einen cleveren Weg des Protests gegen die Elterngeneration suchen – natürlich mit solidem WLAN, globalem Zugriff und steuerlich absetzbar. Der Wille zum Guten ist echt. Die Ironie liegt darin, wie effizient er in das System passt, das er eigentlich hinterfragen wollte.

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