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Cybersecurity – nicht nur eine Formsache

Cybersecurity ist plötzlich überall. In Werbeanzeigen, in LinkedIn-Posts, in den Weiterbildungsprogrammen der Arbeitsagenturen. Wer beruflich umschwenken möchte oder auf der Suche nach einem „zukunftssicheren“ Job ist, dem wird schnell geraten: „Mach was mit Cybersecurity“. Klingt sinnvoll – schließlich ist IT-Sicherheit ein drängendes Thema. Doch der Trend, Cybersecurity auf Zertifikate, Tools oder schnelle Kurse zu reduzieren, greift zu kurz. Viel zu kurz.

Der Reiz des schnellen Einstiegs

„In nur 12 Wochen zum Cybersecurity-Experten“ – solche Slogans begegnen einem derzeit regelmäßig. Sie versprechen nicht nur eine schnelle Qualifikation, sondern auch hohe Gehälter, spannende Tätigkeiten und einen krisensicheren Beruf. Das mag teilweise stimmen, doch derartige Versprechen erzeugen ein gefährliches Missverständnis: dass man durch das reine Absolvieren eines Kurses tatsächlich umfassend für die Herausforderungen im Bereich IT-Sicherheit gerüstet sei.

Natürlich ist es gut und richtig, mehr Menschen für Cybersecurity zu begeistern. Der Fachkräftemangel ist real, ebenso wie die stetig wachsende Bedrohungslage. Aber genau deshalb braucht es mehr als nur neue Köpfe – es braucht neue Haltungen, tiefes Verständnis und die Bereitschaft, kontinuierlich zu lernen. Und das kann kein Zertifikat garantieren.

Zwischen Normerfüllung und realem Schutz

In vielen Unternehmen ist Cybersecurity primär ein Thema der Compliance: Hauptsache, es gibt ein ISMS, ein paar Penetrationstests im Jahr und eine Schulung für Mitarbeitende. Doch was dabei oft übersehen wird: Echte Sicherheit beginnt nicht mit dem Audit – sondern mit einer Kultur, die Risiken erkennt, offen kommuniziert und aktiv begegnet.

IT-Sicherheit ist kein Zustand, den man einmal erreicht und dann abhaken kann. Sie ist ein lebendiger Prozess, der technologische Entwicklungen, menschliches Verhalten und strategische Entscheidungen einbezieht. Wer sich zu sehr auf die Erfüllung von Normen verlässt, läuft Gefahr, die eigentliche Aufgabe aus dem Blick zu verlieren: Systeme und Menschen wirksam vor Angriffen zu schützen.

Warum ein Zertifikat kein Expertentum beweist

Zertifizierungen haben ihren Platz. Sie können strukturierte Lernprozesse fördern, eine erste Orientierung bieten und sind oft ein Türöffner im Bewerbungsprozess. Doch sie können echte Expertise nicht ersetzen. Denn Cybersecurity lebt vom Kontextverständnis: Warum ist ein bestimmtes System verwundbar? Welche Motivationen treiben Angreifer? Wie verändert sich die Bedrohungslage durch geopolitische Ereignisse?

Solche Fragen lassen sich nicht durch Multiple-Choice-Tests beantworten. Sie erfordern Erfahrung, Recherche, oft auch interdisziplinäres Denken. Das lässt sich nicht in wenigen Wochen erlernen – und es steht auch in kaum einem Lehrplan.

Das unterschätzte Element: Mindset

Wer in der Cybersecurity arbeitet, braucht mehr als Know-how. Er oder sie braucht ein besonderes Mindset. Skepsis, Neugier, ein Gespür für Schwachstellen – und eine tiefe Verantwortung für die Auswirkungen der eigenen Arbeit. Dieses Mindset entwickelt sich nicht durch Frontalunterricht, sondern durch reale Erfahrungen: durch Versuch und Irrtum, durch den Dialog mit anderen, durch kritisches Reflektieren.

Viele Security-Professionals berichten, dass ihre Kompetenz nicht in Kursen entstanden ist, sondern in Nächten vor dem Rechner, beim Mitlesen in Foren, im Austausch mit Gleichgesinnten. In einer Welt, in der Angriffe zunehmend automatisiert und vielschichtig werden, reicht technisches Wissen allein nicht aus. Man muss denken wie ein Angreifer – ohne zu handeln wie einer.

Was in Kursen oft fehlt: Blick in die Realität

Viele Bootcamps oder Zertifizierungen sparen bestimmte Themen bewusst aus – sei es aus rechtlichen, ethischen oder pädagogischen Gründen. Dabei sind gerade diese Aspekte entscheidend: Wie funktioniert das Darknet? Welche Rollen spielen Foren, Gruppen oder digitale Subkulturen? Welche wirtschaftlichen oder politischen Interessen stehen hinter Angriffen?

Solches Wissen entsteht meist nicht in klassischen Kursen, sondern durch tiefergehende Beschäftigung. Es braucht Offenheit für Ambiguitäten, für Grauzonen, für nicht immer sofort einordenbare Informationen. Genau das aber macht Cybersecurity so komplex – und so wichtig.

Cybersecurity ist nicht (nur) Kali Linux

Ein weiteres Missverständnis: Wer ein wenig mit Kali Linux spielt oder ein paar Skripte ausführt, hat verstanden, wie Cyberangriffe funktionieren. Doch Cybersecurity ist nicht die Bühne für technoide Selbstverwirklichung. Sie ist ein Verantwortungsbereich, in dem oft langwierige Analysearbeit, strategisches Denken und Kommunikation im Vordergrund stehen.

Viele Angriffe gelingen nicht wegen genialer Exploits – sondern wegen schlechter Prozesse, ungeschulter Mitarbeitender oder fehlender Transparenz. Wer IT-Sicherheit ernst nimmt, muss deshalb nicht nur Technik verstehen, sondern auch Organisationen, Menschen, Kommunikation.

Ein Plädoyer für Tiefe statt Oberfläche

Der Wunsch nach schnellen Lösungen ist verständlich – in der Weiterbildung ebenso wie in der IT-Abwehr. Doch Cybersecurity lässt sich nicht „effizient outsourcen“, auch nicht an Tools oder Zertifizierte ohne tieferes Verständnis. Wer wirklich schützen will, braucht Zeit, Bereitschaft zur ständigen Weiterentwicklung und einen kritischen Blick auf vermeintlich einfache Antworten.

Fazit: Mehr Haltung, weniger Hochglanz

Cybersecurity ist mehr als ein Karriereweg – sie ist ein gesellschaftlicher Auftrag. In einer zunehmend digitalisierten Welt bedeutet Sicherheit auch: Verantwortung übernehmen, Wissen teilen, gemeinsam lernen. Das braucht nicht nur mehr Menschen im Feld, sondern vor allem die richtigen. Menschen, die nicht nur Zertifikate sammeln, sondern Zusammenhänge verstehen. Menschen mit Haltung, mit Tiefgang – und mit dem Mut, auch unbequeme Fragen zu stellen.

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