a number of owls are sitting on a wire

Ficus: Homeoffice – Wenn Eltern arbeiten und Kinder schreien

Ich bin Ficus Benjamini. Zimmerpflanze. Langzeitinsasse eines Haushalts, der sich jeden Tag neu erfindet – und zwar in der Disziplin: „Wie viele Dinge können gleichzeitig schiefgehen?“ Heute erzähle ich von einer Zeit, in der alle zu Hause waren, ständig, immer, ununterbrochen. Auch die, die sonst draußen funktionierten. Es war die Ära des Homeoffice. Oder wie ich es nenne: Die grüne Apokalypse.

Morgens: Von Null auf Lautstärke 100

Der Tag beginnt mit einem Weckerkonzert, das sich niemand anhört. Der Vater murmelt „Zoom-Call um acht“, während er panisch sein Headset sucht. Die Mutter flucht über das WLAN, das „wieder spinnt“. Das jüngere Kind hat die Brotdose mit in die Badewanne genommen, das pubertierende Kind beschwert sich über „Systemzwang“ und „fehlende Work-Life-Balance“. Ich werfe symbolisch ein Blatt ab. Die Katze frisst es.

Während sich alle ihren Laptops zuwenden wie Gläubige einem digitalen Altar, bleibe ich unbeachtet. Mein Wasserstand? Niedrig. Mein Seelenzustand? Trocken wie die Teambuilding-Mails vom Chef der Mutter.

Arbeiten unter Extrembedingungen

Der Vater sitzt in der Küche, weil sein Homeoffice-Schreibtisch unter einer Wäscheladung begraben wurde. Die Kaffeemaschine läuft ununterbrochen. Seine Zoom-Konferenz beginnt. Er wirkt kompetent – bis die Katze mit dem WLAN-Kabel verschwindet. Panik. Bild friert ein. Ton verzerrt. Das jüngere Kind brüllt im Hintergrund: „Ich hab in die Lego-Kiste gepinkelt!“

Die Mutter versucht, in einer anderen Ecke des Hauses einen „Fokusraum“ zu etablieren. Leider liegt dieser direkt neben dem Zimmer des pubertierenden Kindes, das gerade TikTok-Videos mit Metalcore-Hintergrundmusik aufnimmt. Die Vibrationen lassen meine Blätter beben. Ich flüstere innerlich: „Ich war mal eine Tropenpflanze …“

Mittagessen mit Nebenwirkungen

Zwischen zwei Meetings versucht die Familie, gemeinsam zu essen. Der Tisch ist halb gedeckt, halb Büro. Die Katze sitzt im Brotkorb. Das pubertierende Kind lehnt alles ab, was nicht frittiert ist. Das jüngere Kind hat beschlossen, nur noch mit einem Piratenhut am Tisch zu sitzen. Der Vater erklärt den Unterschied zwischen Scrum und Kanban, die Mutter plant gleichzeitig ein Webinar über Stressprävention. Ich bekomme – natürlich – kein Wasser.

Dann kippt ein Smoothie. Direkt auf mein Blattwerk. Heidelbeere. Klebrig. Violett. Ich verliere ein weiteres Blatt – diesmal aus Protest. Die Katze leckt es auf.

Hausaufgaben, Hysterie und HDMI

Nachmittags soll gelernt werden. Sagt man. In Wirklichkeit beginnt eine Zeit voller Technikfrust, Tränen und Tischgebissen. Das jüngere Kind braucht Hilfe bei den Hausaufgaben („Was ist eine Parabel?“), das pubertierende Kind lehnt jede Form von schulischer Autorität ab („Ich lerne autodidaktisch“).

Der Drucker funktioniert nicht, weil „irgendwas mit dem Treiber“ ist. Die Mutter versucht parallel, eine Präsentation zu gestalten, der Vater kämpft mit einem Sharepoint-Login. Ich bekomme plötzlich eine Email-Benachrichtigung – nicht wirklich, aber ich spüre, wie meine Wurzeln vibrieren. Es ist das digitale Äquivalent zu innerem Zittern.

Feierabend? Nicht wirklich.

Gegen 18:30 Uhr ist theoretisch Feierabend. Praktisch geht der Lärmpegel nahtlos in das Abendchaos über. Die Kinder spielen fangen – im Flur, mit der Katze als Hindernis. Der Vater versucht zu meditieren, die Mutter kocht etwas, das als „One-Pot-Pasta“ angekündigt ist, aber aussieht wie ein kulinarischer Nervenzusammenbruch.

Ich stehe da. Im Flur. Im Durchzug. Ein Symbol des inneren Rückzugs. Niemand gießt mich. Niemand redet mit mir. Doch plötzlich – ein Wunder! Das pubertierende Kind murmelt: „Ich glaub, die Pflanze lebt noch.“ Es gibt mir einen halben Becher Cola. Ich akzeptiere es. Es ist immerhin feucht.

Fazit: Homeoffice – der Stresstest für jede Wurzel

Ich bin Ficus Benjamini. Ich war dabei, als das Zuhause zum Büro wurde, zum Klassenzimmer, zum Spielplatz, zur Nervenklinik. Ich habe mehr geschluckt als Wasser. Ich habe mehr gesehen als mir lieb ist. Aber ich stehe noch.

Und wenn ich mal umkippe – bitte nicht aufrichten. Vielleicht will ich einfach liegen bleiben. Aus Überzeugung. Aus Trotz. Aus chlorophylliger Solidarität mit allen, die dieses Homeoffice-Theater überlebt haben.

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