Ich bin Ficus Benjamini. Zimmerpflanze, Leidensgenosse, unbeachtetes Inventar. Die meiste Zeit meines Lebens stehe ich still in der Ecke eines Wohnzimmers, das mehr Energiechaos beherbergt als ein Teilchenbeschleuniger auf Ecstasy. Doch nichts, wirklich nichts, hat mich auf das vorbereitet, was man hier „die besinnliche Jahreszeit“ nennt.
Weihnachten in einem ADHS-Haushalt ist wie eine Flasche Sekt, die geschüttelt und dann unter Druck geöffnet wird – mit einer Lichterkette um den Hals. Ich bin nicht nur dabei. Ich bin mittendrin. Und ich bin NICHT begeistert.
Advent, Advent, der Vater rennt
Es beginnt mit dem Advent. Theoretisch eine Zeit der Ruhe. Praktisch bedeutet das: Schokokalender-Kriege, eine halbe Bastelwerkstatt auf dem Esstisch und 172 Benachrichtigungen aus Schulgruppen-Chats („Bitte denken Sie an die Lebkuchen-Spende bis Dienstag, 8:15 Uhr!“). Ich stehe daneben – in Erwartung meiner ersten Lichterkette. Leider ist es die blinkende Variante. In Pink.
Der Vater versucht, den Baum aufzubauen – während das jüngere Kind bereits sämtliche Kugeln entkernt hat („Die glitzern von innen!“). Das pubertierende Kind weigert sich, mitzuhelfen. „Weihnachten ist kapitalistischer Zwangskonsum und emotionale Erpressung.“ Ich finde, es hat recht. Die Mutter zündet eine Duftkerze an. Es riecht nach Vanille, Wut und verlorener Geduld.
Weihnachtseinkauf: Eskalation im Supermarkt
Der Einkauf für die Feiertage wird zur logistischen Megakatastrophe. Der Vater schiebt den Wagen, die Mutter schreibt Listen, die Kinder schreien „Kann ich das haben?!“ in Endlosschleife. Ich bleibe zu Hause – halb verdurstet, dafür immerhin in Ruhe. Als sie zurückkommen, ist der Kühlschrank so voll, dass der Salat weint. Mich gießt trotzdem niemand.
Die Katze hat inzwischen den Adventskranz zerlegt, drei Kugeln zerschlagen und ein Geschenkpapierrollenmassaker veranstaltet. Ich verliere ein Blatt. Wieder einmal. Niemand bemerkt es.
Heiligabend – die Apokalypse trägt Lametta
Der 24. Dezember beginnt mit einer existenziellen Krise des pubertierenden Kindes („Ich habe KEIN GESCHENK für Mama!“), der traditionellen Hitzeschlacht in der Küche und einem heillos überfüllten Wohnzimmer, in dem ich mehr als einmal fast umgestoßen werde.
Die Mutter trägt ein festliches Kleid und den Ausdruck eines Menschen, der innerlich bereits aufgegeben hat. Der Vater sucht die Batterien. Das jüngere Kind testet alle Geschenke vor dem Einpacken. Die Katze frisst Geschenkband. Ich harre aus. Irgendwo unter einer Rentier-Mütze hat mir jemand eine Weihnachtskugel umgehängt. Ich akzeptiere es. Würde ist ohnehin überbewertet.
Beim Festessen kippt die Stimmung. „Ich wollte aber Pommes!“ schreit das jüngere Kind. Das pubertierende Kind pickt demonstrativ nur Reis. Der Vater sagt: „Wenigstens sind wir alle zusammen.“ Die Mutter murmelt: „Noch.“
Bescherung mit Kollateralschäden
Die Geschenke sind schnell geöffnet. Enttäuschungen auch. „Ich wollte das andere Lego-Set!“ – „Warum kriegt sie ein Handy?!“ – „Das ist die falsche Farbe!“ Ich denke an die Zeit, als ich frisch war. Als mein einziger Feind der Blattlaus war. Jetzt kämpfe ich gegen Glitzerreste in meiner Erde und das ständige Risiko, vom Geschenkeberg erschlagen zu werden.
Die Katze nutzt das Chaos, um mit einem Plätzchen zu flüchten. Das pubertierende Kind zieht sich zurück („Ich hab soziale Überreizung“). Ich beneide es. Und frage mich: Wurde der Baum eigentlich gegossen? Oder hat er denselben Gießplan wie ich – „vielleicht irgendwann“?
Weihnachtsferien: Der tägliche Wahnsinn in Slow Motion
In den Tagen zwischen den Jahren herrscht Ausnahmezustand. Keiner weiß, welcher Wochentag ist. Alle schlafen zu lange, streiten zu früh und essen ausschließlich Dinge mit mindestens drei Zuckersorten. Ich stehe stumm daneben – inzwischen in Weihnachtsdeko gehüllt wie ein Opfer ritualisierter Festlichkeit.
Das jüngere Kind beschließt, mich zu „verschönern“. Es bastelt mir ein T-Shirt aus Geschenkpapier. Ich werde „Fici Claus“ getauft. Der Name bleibt. Der Stolz geht. Die Katze springt erneut auf meinen Topf. Dieses Mal gräbt sie nicht – sie liegt einfach nur da. Ich spüre ihre Wärme. Ich schäme mich dafür, sie angenehm zu finden.
Silvester: Wenn Böller auf Burnout treffen
Der krönende Abschluss des Jahres: Silvester. Die Eltern planen Raclette. Das pubertierende Kind plant eine stille Revolution gegen das Raclette. Die Katze versteckt sich bereits vor dem ersten Böller. Ich bin bereit zu sterben.
Um Mitternacht wird angestoßen. Ich bekomme Sekt ab. Nicht im Glas. Auf meine Blätter. Ich glitzere. Ich klebe. Ich stehe. Und frage mich: Wird 2025 besser? Oder einfach nur … anders?
Fazit: Weihnachtswunder? Eher Weihnachts-Wahnsinn.
Manche sagen, Weihnachten sei das Fest der Liebe. Ich sage: Es ist der Endgegner im Level „Familienleben“. Ich habe überlebt – unter Lametta, zwischen Gebrüll und Geschenkpapier, untergraben von Katzenpfoten und ignoriert von Menschenherzen.</p