Diskussionen über das Demokratieverständnis hatte ich schon viele. Warum? Das ist gar nicht so leicht zu erklären.
Fängt man mit dem Grundbegriff „Demokratie“ als „demos“ und „krates“, Herrschaft des Volkes an, stellt man relativ schnell fest, dass es bei uns in Deutschland nicht allzuweit her ist, mit dem Volkswillen.
Dabei rede ich jetzt nicht von diesen unsäglichen, sogenannten Protestbewegungen, die Meinungen hinterherlaufen, die im Wesentlichen auf Fehlinformationen basieren. Ich spreche vom „Sollprozess“.
Wähler
Also, der Wähler bestimmt, wie regiert wird. Ähm, nein. Der Wähler sucht aus einem Konvolut an Kandidaten denjenigen aus, von dem vermutet wird, dass er/sie der eigenen Meinung am Nächsten kommt.
Schauen wir uns aber mal an, wie bzw. wer da sich zur Wahl stellt bzw. zur Wahl zugelassen wird.
Wichtigste Kompentenzen sind u.a. dem gehorsamen Folgen der Parteimeinung. Eigene Meinungsäußerungen sind dabei recht verpönt. Ebenso wichtig ist die Vernetzung, im Volksmund auch „Spezlwirtschaft“ genannt. Gut ist natürlich auch ein Verständnis für Politik als Solche, Politikwissenschaft und Juristerei sind da natürlich bevorzugt. Vielleicht auch, weil in diesen Wissenschaften mehr „Männerfreundschaften“ geschlossen werden, als in Naturwissenschaften und Ingenieurwesen? Gut, das kann ich nicht beweisen, kommt mir aber so vor.
Rhetorik ist natürlich auch ein wichtiges Gut in der Politik, am Besten möglichst inhaltslos, um nicht drauf festgenagelt werden zu können und einen breiten Interpretationsspielraum zu gewährleisten. Being everybody’s darling.
Wichtig ist aber auch, dass der Kandidat oder die Kandidatin nicht zu viel Macht anhäufen kann, bestehenden Kadern also nicht in die Suppe spucken oder an Stühlen sägen kann.
So sammelt sich also die Gemeinschaft der Kandidaten, und wir dürfen nicht wählen sondern auswählen. Die erste Wahl wurde je schon erledigt. Puh, das Volk nur noch zweite Wahl?
Schauen wir weiter.
Fraktionszwang
Gehen wir von der Annahme aus, die gewählten „Volksvertreter“ würden frei agieren können. Da klingelt bereits der erste Buzzer. Parteimeinung steht über allem, bis auf gelegentliche Ausnahmen, bei denen Fraktionszwang nicht praktiziert wird.
Machen wir aber das Gedankenspiel weiter und glauben an das Beste im Menschen und der Parteipolitik.
Medien
Äußerungen der Volksvertreter brauchen Verstärkung durch Medien. Da kommt der nächste Buzzer. Medien werten, was völlig normal und logisch ist. Aber die Medienhäuser sind alles andere als divers. Im Besitz von Wenigen wird also die Stimmung gesteuert. Den Journalisten mache ich nur begrenzt einen Vorwurf, schließlich gilt „…wess Brot ich ess, dess Lied ich sing…“.
Demokratie ist also unter Berücksichtigung der bisherigen Argumente eine Funktion von parteilicher Vorauswahl, (Aus)wahl durch das Volk und Medienstimme von Besitzers Gnaden.
Lobbyismus
Was vermutet wurde, kam in der letzten Zeit vermehrt ans Tageslicht – Lobbyismus. Die Verteilung von Hausausweisen an Lobbyisten für den Bundestag ist ja schon ein deutliches Zeichen. Natürlich ist Lobbyismus per se nicht unbedingt schlecht, gibt es doch jedem (der entsprechend1 zahlt) die Chance, vom Volksvertreter gehört zu werden.
Ungünstig ist es aber eben, wenn zahlenmäßig kleine Gruppen mit viel Geld(spenden) im Rücken sich Gehör verschaffen, dass über ihre Bedeutung hinausgeht. Nimmt man z.B. den Deutschen Bauernverband mit knapp 300.000 Mitgliedern2, könnte man von einer breiten Bauernvertretung ausgehen. Sieht man aber, dass 2019 ca. 266.000 landwirtschaftliche Betriebe gezählt wurden, ist das Bild keinesfalls mehr so „demokratisch“. Die Masse der Landarbeiter sind keinesfalls vertreten. Trotzdem hat der Deutsche Bauernverband großen Einfluss auf die Volksvertreter(in).
Es wäre ungerecht zu sagen, dass jeder Volksvertreter vom Lobbyeinfluss gleichermaßen gesteuert wird. Nein, hier kommen noch zwei Faktoren dazu, die persönliche Gier des Auserwählten und sein Verständnis für kriminelles Handeln.
Gerechtigkeitssinn, Gier
Juristisch oft gut ausgebildet, scheint es für die Volksvertreter kein besonderes Problem zu sein, die strafrechtlichen Folgen ihres Handelns recht genau einschätzen zu können. Schließlich hat man ja vorgesorgt, durch Gesetze, die die strafrechtliche Relevanz und das Strafmaß immer weiter nach unten korrigiert haben.
So haben sich recht interessante Zustände herauskristallisiert. Einflussnahme durch Lobbyismus basiert nicht auf der Bedeutung der lobbyierenden Verbände, sondern dem Geldgefüge hinter den Lobbyisten. In Verbindung mit Unkenntnis der „Lebenswirklichkeit der Wähler“, in der Wirtschaft gearbeitet haben schließlich nur wenige Volksvertreter, teilweise gar nicht, und der Gier der Abgeordneten, werden Entscheidungen gegen die Bevölkerung getroffen.
Fehleinschätzungen
Wirklich witzig dabei ist zu sehen, auf welche Floskeln die Abgeordneten hereinfallen. Großer Aufschrei in der Automobilindustrie wegen Euro 7 – das kostet Arbeitsplätze. Stimmt, aber es kostet Arbeitsplätze von Firmen, die sowieso nicht wettbewerbsfähig mehr waren, die den Anschluss an die neue Welt verpasst und somit dem Kapitalismus in seiner reinen Form eh nicht mehr gewachsen waren.
Arbeitsplätze, das ist sowieso der Trigger, auf denen viele Politiker aber auch Wähler hereinfallen. Klingen 100.000 Arbeitsplätze auch irre viel, es geht letztlich doch lediglich um ca. 0,001% der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Ist man betroffen, machen einen Entscheidungen natürlich wütend, und das ist auch nachvollziehbar. Das Weltgeschehen beinflusst es aber nicht, nicht mal die Bundesrepublik Deutschland.
Ähnlich gravierende Fehleinschätzungen sind in der Missachtung der Kulturschaffenden zu sehen, die sich leider (noch) nicht an wirksame Lobbyisten gebunden haben. Ein Jahresumsatz von 174,1 Milliarden Euro3in 2019 ist unglaublich. Die Lufthansa hatte im selben Jahr lediglich 36,4 Milliarden Euro, also ca. 21% des Kulturbetriebs. Trotzdem wurde die Lufthansa mit 9 Milliarden Euro gefördert, der Kulturbetrieb jedoch ignoriert. Die Statistik sagt, dass 2019 in der Luft- und Raumfahrt ca. 114.000 Angestellte gearbeitet haben, was also pro Arbeitnehmer einen Umsatz von ca. 319.300 Euro ausmacht.
Die Zahl der Künstler4 lag 2008 bei ca. 180.000, in deren Fahrwasser jedoch noch eine Unzahl an technischen Mitarbeitern5, Teilzeitkünstlern, Verlage, Verwertungsgesellschaften & Co. mitverdienen. Würde man jedem Vollzeitkünstler nur 5 korrespondierende Arbeitsplätze hinzurechnen, was in einigen Teilbereichen der Kunst viel zu gering ausfällt, dann hätten wir es schon mit 900.000 Arbeitsplätzen im direkten Kunstumfeld zu tun. Das ist immerhin das knapp 8fache der Lufthansamitarbeiter.
Genaue Zahlen konnte ich leider nicht finden.
Zusammenfassung
Also, woraus besteht nun unsere sogenannte Demokratie?
- Vorauswahl durch Parteien6
- Auswahl der Kandidaten durch (Aus)Wähler, also dem Anteil des Volks, dass das Recht wahrnimmt
- Veröffentlichung der Meinung von Abgeordneten durch (wenige) Medienhäuser
- Teilnahme an Diskussionen im Fernsehen, ausgewählt durch wenige Redakteure
- Lobbyeinfluss in abhängigkeit der eigenen Logik und Realitätswahrnehmung
- persönliche Gier und Gerechtigkeitsverständnis.
Also wenn man das so ließt, erklärt sich der Frust der Bevölkerung recht schnell. Wenn sich hier nichts ändert, werden wir eher früher als später der Redewendung eine neue Bedeutung zuschreiben müssen,
„Wir sind am Arsch!“