„Wir müssen die Bürokratie abbauen!“ Wer hat diesen Satz noch nicht gehört? Ein Mythos vom Weniger. Politik, Wirtschaft und Medien sind sich einig: Weniger Bürokratie wäre gut für uns alle. Und doch passiert – nichts.
Der Begriff „Bürokratieabbau“ ist zum Buzzword verkommen, eine leere Worthülse, die als Argumentationshilfe herhalten muss, ohne dass echte Lösungen präsentiert werden. Warum ist das so?
Was ist Bürokratie?
Bürokratie bedeutet vor allem eins: Regeln. Gesetze, Vorschriften, Normen und Richtlinien strukturieren unser Zusammenleben und unsere Wirtschaft. Manche davon sind sinnvoll, andere wirken realitätsfremd oder gar kontraproduktiv. Ich habe mich bereits in meinem Artikel „Vertrauen durch Normung“ mit dem Thema auseinandergesetzt: Normen können Klarheit schaffen, aber auch Misstrauen fördern und Kreativität hemmen.
Die Bürokratie leidet unter mehreren Problemen:
- Regulierungsflut: Neue Gesetze und Vorschriften entstehen ständig, werden aber selten überprüft oder wieder abgeschafft. Das bedeutet, dass sich im Laufe der Jahre immer mehr Regularien ansammeln, die sich teils widersprechen oder unpraktikabel sind.
- Unverständliche Sprache: Viele Regularien sind so formuliert, dass nur Fachjuristen sie durchdringen können. Das erschwert die Umsetzung für Unternehmen und Bürger gleichermaßen und schafft Unsicherheit, die wiederum zur Notwendigkeit von Beratung führt.
- Praxisferne: Regelmacher sitzen oft weit entfernt von der Realität derer, die sie umsetzen müssen. Der berühmte „Elfenbeinturm“ sorgt dafür, dass Regularien oft an der praktischen Umsetzung scheitern oder völlig ineffizient sind. Ein Beispiel sind Datenschutzverordnungen, die Unternehmen dazu zwingen, seitenlange Erklärungen bereitzuhalten, die niemand liest.
Warum ändert sich nichts?
Jeder fordert weniger Bürokratie, aber es gibt handfeste Gründe, warum sich daran nichts ändert:
- Machterhalt durch Regularien: Wer Regeln schafft, behält Kontrolle. Weniger Regeln würden heißen, Macht abzugeben – ein riskantes Unterfangen für diejenigen, die von der Regulierung leben.
Ministerien, Behörden und Verwaltungseinheiten haben ein Eigeninteresse daran, ihre Existenz und ihren Einfluss zu sichern. Je mehr Regularien es gibt, desto mehr Personal und Budgets werden benötigt. - Selbsterhalt der Bürokratie: Eine Behörde, die sich selbst abschafft, ist undenkbar. Wo einmal eine Regulierung existiert, entstehen Gremien, Überwachungsmechanismen und Dokumentationspflichten, die sich verselbständigen.
Nehmen wir das Beispiel der Umweltregulierung: Eine neue Vorgabe zur Emissionsmessung bedeutet nicht nur zusätzliche Kosten für Unternehmen, sondern auch neue Kontrollgremien, Berichtsformate und Nachweispflichten. Diese Mechanismen bauen sich nicht selbst ab, sondern wachsen weiter. - Beraterindustrie: Die Beratung rund um Regularien ist ein milliardenschwerer Markt. Vom Datenschutz über ESG-Regularien bis zu technischen Normen – immer neue Regularien generieren Beratungsbedarf.
Jeder regulatorische Eingriff schafft eine Kette von Dienstleistungen: Schulungen, Compliance-Prüfungen, Zertifizierungen und Audits. Das ist ein Wirtschaftszweig für sich, der keinerlei Interesse an Bürokratieabbau hat, weil er davon lebt. - Die Illusion der Sicherheit: Viele Bürokratieprozesse werden als notwendig erachtet, um Rechtssicherheit oder Verbraucherschutz zu gewährleisten. Doch oft entstehen dabei überzogene Regularien, die mehr Kosten als Nutzen haben.
Die Annahme, dass durch Bürokratie Fehler verhindert werden können, ist weit verbreitet – aber oft falsch. Statt weniger Fehler zu machen, verlangsamt sich der gesamte Prozess und führt dazu, dass sich Unternehmen und Bürger mit Dokumentationen statt mit Innovationen beschäftigen.
Ein Fazit, das niemand gerne hört
Weniger Bürokratie wäre in vielen Fällen wünschenswert, doch die systemischen Triebkräfte sprechen dagegen. Der Status quo dient der Machterhaltung von Politik, Verwaltung und der Regulierungsindustrie.
Ein echter Bürokratieabbau würde erfordern, dass sich etablierte Strukturen selbst beschneiden – was in der Praxis selten vorkommt.
Wer Bürokratie wirklich abbauen will, muss also gegen etablierte Interessen kämpfen – ein ungleiches Gefecht, das bisher niemand ernsthaft aufgenommen hat. Stattdessen werden kleine kosmetische Änderungen vorgenommen, die das System intakt lassen.
Ein echter Abbau würde bedeuten, dass Behörden geschlossen, Regularien gestrichen und Beratungsindustrien ausgetrocknet werden. Das ist aber ein Szenario, das viele Akteure zu verhindern wissen.
Solange „Bürokratieabbau“ nur als Slogan dient, bleibt alles, wie es ist – und wir diskutieren in zehn Jahren wahrscheinlich noch immer darüber.