Dieser Text ist ein faktenbasiertes Gedankenspiel: Die folgenden Überlegungen und Zuspitzungen beruhen auf öffentlich zugänglichen Quellen und dokumentierten Vorgängen rund um die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens. Die dargestellten Szenarien und Bewertungen sind pointiert formuliert, fußen jedoch auf realen Ereignissen und belegbaren Entwicklungen – sie sollen Denkanstöße geben und zur kritischen Reflexion anregen. Es ist ein Nachdenken über Politik statt Fachkompetenz.
Warum dieser Artikel jetzt? Die aktuellen Störungen bei E-Rezept, elektronischer Patientenakte (ePA) und anderen digitalen Gesundheitsdiensten zeigen, dass die strukturellen Probleme im System keineswegs gelöst sind. Es geht hier nicht um ein Nachtreten gegen einzelne Akteure, sondern darum, das Prinzip Spahn sichtbar zu machen: Politische Entscheidungen und Aktionismus wurden systematisch über Fachkompetenz und nachhaltige Strukturen gestellt – mit Folgen, die heute alle Beteiligten spüren.
Wie aktuelle Ausfälle beim VPN-Zugangsdienst und die wiederholten Probleme mit der Telematikinfrastruktur zeigen, ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens weiterhin von Instabilität, Intransparenz und mangelnder Nutzerfreundlichkeit geprägt. Ärzte, Apotheker und Patienten sind regelmäßig von Ausfällen betroffen, und die Ursachen bleiben oft im Dunkeln. Die ePA wird ab Oktober 2025 Pflicht, doch schon jetzt ist klar: Die Akzeptanz ist gering, die Technik wackelt, und viele Patienten sind verunsichert.
Genau deshalb ist eine kritische Auseinandersetzung mit den strukturellen und politischen Weichenstellungen der letzten Jahre notwendig. Es geht nicht um persönliche Abrechnung, sondern um die Frage, wie ein ganzes System durch politische Kurzsichtigkeit und Machtpolitik auf eine falsche Spur gesetzt wurde – und wie wir daraus lernen können, bevor die nächsten Digitalprojekte scheitern.
Stellen wir uns mal vor, wir sitzen in einer Expertenrunde zur Digitalisierung des Gesundheitswesens. Auf dem Tisch: hochkomplexe Fragen zu Datenschutz, IT-Sicherheit und medizinischer Versorgung. Die IT-Spezialisten diskutieren gerade angeregt über Verschlüsselungsstandards, Ärzte warnen vor Risiken bei der elektronischen Patientenakte, Datenschützer mahnen zu Sorgfalt und Augenmaß. Die Stimmung ist konzentriert, jeder weiß: Hier geht es um sensible Daten von Millionen Menschen und um das Rückgrat unserer medizinischen Versorgung.
Doch plötzlich platzt ein Minister herein, wedelt mit einem Gesetzesentwurf und ruft: „So machen wir das jetzt!“ Die Experten blicken irritiert auf. Einwände? Abgewürgt. Bedenken? „Zu langsam, zu bürokratisch!“, heißt es. Willkommen in der Realität der deutschen Gesundheitspolitik unter Jens Spahn.
Hier zählt nicht mehr die beste Lösung, sondern die schnellste. Fachliche Tiefe wird durch politische Schlagkraft ersetzt. Wer nicht mitzieht, wird überstimmt – oder gleich entmachtet. Die Gematik, einst als Konsensplattform der Selbstverwaltung gegründet, wird kurzerhand zum Bundesbetrieb umgebaut. Die Leitung übernimmt ein Pharmamanager, der mit Digitalisierung so viel zu tun hatte wie ein Hausarzt mit Quantenphysik. Die eigentlichen Experten? Dürfen noch applaudieren – oder schweigen.
Das Ergebnis: Digitalisierung im Hauruckverfahren. Gesetze werden im Eiltempo durch den Bundestag gepeitscht, Änderungsanträge auf Zuruf verteilt, Datenschutzbedenken als „Verhinderungsrhetorik“ abgetan. Wer fragt, ob das alles sicher, sinnvoll und nachhaltig ist, wird zum Bremser abgestempelt. Hauptsache, der Minister kann auf der nächsten Pressekonferenz verkünden: „Wir sind Vorreiter!“
Doch was bleibt auf der Strecke? Vertrauen. Qualität. Und die Erkenntnis, dass Digitalisierung kein politisches Prestigeprojekt ist, sondern eine Mammutaufgabe, die Sorgfalt, Fachwissen und Geduld verlangt. Wer glaubt, mit Machtworten und PR-Strategien ein sicheres, funktionierendes Gesundheitssystem aus dem Boden stampfen zu können, riskiert mehr als nur Schlagzeilen – er riskiert das Vertrauen der Menschen in die digitale Zukunft ihrer Gesundheit.
Und während draußen die Kameras blitzen, fragen sich die Experten im Raum: War das jetzt Fortschritt – oder einfach nur Politik?
Wurde die Gematik zum Spielball politischer Macht?
Jens Spahn hat die Gematik, ursprünglich ein Konsortium aus Selbstverwaltung und Fachverbänden, kurzerhand in einen Mehrheitsbetrieb des Bundes verwandelt. Warum? Weil es ihm zu langsam ging. Die „verkrusteten Strukturen“ sollten weg, der Minister wollte „die Zügel in die Hand nehmen“. Klingt nach Tatkraft – aber was ist mit Fachkompetenz und Konsens? Der damalige Gematik-Chef warnte: „Es war immer gut, auf einen breiten Konsens aller Beteiligten bauen zu können. Das sollte auch so bleiben.“ Doch Spahn setzte auf Durchregieren statt auf Expertise.
Die Folge: Die bisherigen Mitentscheider – Krankenkassen, Ärzte, Apotheker – wurden faktisch entmachtet. Die Selbstverwaltung, jahrzehntelang Garant für fachliche Ausgewogenheit und demokratische Kontrolle, wurde zur Zuschauertribüne degradiert. Entscheidungen, die das gesamte Gesundheitswesen betreffen, werden nun von einer Bundesmehrheit getroffen, die vor allem eines im Blick hat: politische Schlagkraft und schnelle Umsetzung.
Kritiker sprechen von einer „kalten Enteignung“ und einem gefährlichen Präzedenzfall. Denn wenn einmal bewährte Strukturen und Mitbestimmungsrechte auf dem Altar der Effizienz geopfert werden, ist der Weg frei für politische Willkür. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens wird so nicht zum Gemeinschaftsprojekt, sondern zum Prestigeobjekt der jeweiligen Regierung – mit allen Risiken für Qualität, Datenschutz und Akzeptanz.
Statt auf den Dialog mit Fachleuten zu setzen, wurde die Gematik zum verlängerten Arm des Ministeriums. Wer widerspricht, steht schnell im Abseits. Und so wird aus einer Plattform für Innovation und Konsens ein politisches Machtinstrument – mit ungewissem Ausgang für Patienten, Ärzte und das gesamte Gesundheitssystem.
Welche Rolle spielte Fachwissen bei zentralen Personalentscheidungen?
Die Berufung von Markus Leyck Dieken, einem Manager mit Pharma-Lobby-Hintergrund, zum Gematik-Geschäftsführer sorgte für Empörung. Fachverbände und Transparency International fragten: Geht es hier noch um die beste Lösung für Patienten – oder um politische und wirtschaftliche Netzwerke? Vertrauen in die elektronische Patientenakte? „Zerstört“, urteilten Kritiker.
Dieken, zuvor unter anderem bei Ratiopharm und Teva tätig, galt als bestens vernetzt in der Pharmabranche, aber als Quereinsteiger in Sachen Digitalisierung und Telematik-Infrastruktur. Dass ausgerechnet ein Branchenlobbyist den Chefposten einer Organisation bekommt, die zentrale Gesundheitsdaten von Millionen Bürgern verwaltet, wurde als fatales Signal gewertet. Fachkompetenz im Bereich digitaler Gesundheitsinfrastruktur? Fehlanzeige, so der Tenor vieler Experten.
Die Entscheidung wurde im Eiltempo und gegen den Widerstand der bisherigen Gesellschafter durchgesetzt. Die Mitbestimmung der Selbstverwaltung war faktisch ausgehebelt, die Auswahlkriterien blieben intransparent. Die Frage, ob die besten Köpfe für die Digitalisierung des Gesundheitswesens gewonnen wurden, oder ob politische Loyalität und wirtschaftliche Kontakte wichtiger waren, stand plötzlich im Raum.
Natürlich muss man fairerweise sagen: Auch Ärzte, Kassen und andere Akteure der Selbstverwaltung verfolgen oft ihre eigenen Interessen – von Honoraren bis hin zu Einfluss auf Versorgungsstrukturen. Ihre „hidden agenda“ ist längst kein Geheimnis mehr und sollte bei der Bewertung von Kritik immer mitgedacht werden. Dennoch bleibt der Eindruck, dass bei dieser Personalentscheidung nicht fachliche Eignung, sondern politische und wirtschaftliche Netzwerke den Ausschlag gaben.
Die Konsequenz: Ein massiver Vertrauensverlust bei Ärzten, Kassen und Patienten. Wer seine Gesundheitsdaten in einem System weiß, das von politischen und wirtschaftlichen Interessen durchdrungen ist, fragt sich zwangsläufig: Geht es hier wirklich um meine Sicherheit – oder nur um den nächsten Karriereschritt im Berliner Politikbetrieb?
Wurden Bedenken ausgebremst – oder einfach ignoriert?
Die Selbstverwaltung, also die eigentlichen Fachleute, schlugen Alarm: Spahns Methoden seien „rechtsstaatlich bedenklich“, die Enteignung der bisherigen Gesellschafter ein gefährlicher Präzedenzfall. Gesetzesänderungen wurden im Hauruckverfahren durchgedrückt, Änderungsanträge „auf Zuruf“ verteilt, Stellungnahmen kaum beachtet. „Das überfordert die Abgeordneten. Die Legitimität der Ergebnisse steht in Frage“, so ein früherer Ministeriumsabteilungsleiter.
Kritik kam nicht nur aus den Reihen der Ärzte, Kassen und Apotheker, sondern auch von Datenschützern und unabhängigen Experten. Sie bemängelten, dass zentrale Fragen zur Datensicherheit, zum Zugriffsmanagement und zur Einbindung der Betroffenen entweder nur oberflächlich behandelt oder ganz übergangen wurden. Die Geschwindigkeit, mit der die Reformen durchgesetzt wurden, ließ kaum Raum für fundierte Diskussionen oder eine sorgfältige Abwägung der Risiken.
Die politische Devise lautete: „Tempo vor Tiefe.“ Wer Bedenken anmeldete, wurde schnell als Bremser oder Fortschrittsverweigerer abgestempelt. Dabei ist klar: Auch die Selbstverwaltung ist nicht frei von Eigeninteressen und verteidigt gerne ihre etablierten Strukturen. Doch die Art und Weise, wie kritische Stimmen systematisch marginalisiert wurden, wirft Fragen nach der demokratischen Kultur und der Qualität der Gesetzgebung auf.
Am Ende blieb vielen Experten nur noch die Rolle des Zaungastes. Die eigentlichen Fachleute wurden übergangen, während politische Schnellschüsse den Takt vorgaben. Das Ergebnis: Ein Reformprozess, der zwar Schlagzeilen macht, aber das Vertrauen und die Akzeptanz der Beteiligten aufs Spiel setzt.
Wer profitiert, wenn Politik über Fachkompetenz siegt?
Die Digitalisierung wurde zur politischen Bühne, die Fachleute zu Statisten degradiert. Krankenkassen, Ärzte, Apotheker – sie alle kritisierten, dass die Digitalisierung von oben verordnet und von Beitragszahlern finanziert wird, ohne dass ihre Expertise wirklich gefragt war. Am Ende zählt, dass der Minister glänzen kann, auch wenn das Ergebnis ein „Holzmodell“ ist, das international für Kopfschütteln sorgt.
Profiteure dieses Politikstils sind vor allem diejenigen, die sich geschickt im politischen Umfeld positionieren: Berater, Lobbyisten und Unternehmen, die frühzeitig Zugang zu Entscheidern erhalten und lukrative Aufträge an Land ziehen. Die eigentlichen Fachleute, die seit Jahren an tragfähigen Lösungen arbeiten, werden an den Rand gedrängt – ihre Erfahrung zählt weniger als die Nähe zur Macht.
Für die Politik ist das kurzfristig bequem: Wer schnelle Ergebnisse präsentiert, kann sich als Macher inszenieren und sich mit vermeintlichen Erfolgen schmücken. Doch der Preis ist hoch: Fehlentwicklungen, teure Nachbesserungen und ein Gesundheitswesen, das am Bedarf der Patienten und Leistungserbringer vorbeigeplant wird.
Nicht zu vergessen: Auch die Selbstverwaltung und ihre Vertreter profitieren nicht selten von alten Strukturen und Einflussmöglichkeiten. Doch wenn politische Interessen und PR-Strategien über fachliche Kompetenz gestellt werden, verlieren am Ende vor allem die Patienten – und das Vertrauen in eine funktionierende, sichere und zukunftsfähige Gesundheitsversorgung.
Was bleibt?
Maskendeals waren nur der Anfang. Die eigentliche Gefahr für unser Gesundheitssystem ist ein Politikstil, der Fachkompetenz und Konsens durch Aktionismus und Machtpolitik ersetzt. Die Frage ist nicht mehr, ob das System effizient und sicher wird – sondern nur noch, wie schnell der nächste Minister seinen Stempel aufdrücken kann.
Was bleibt, ist ein schales Gefühl: Digitalisierung im Eiltempo, aber ohne Rücksicht auf Qualität, Nachhaltigkeit oder die Bedenken derjenigen, die täglich mit den Folgen leben müssen. Vertrauen in die Strukturen schwindet, die Bereitschaft zur Mitwirkung sinkt. Patienten, Ärzte und Kassen stehen am Spielfeldrand und beobachten, wie politische Interessen die Richtung vorgeben – und nicht die besten fachlichen Argumente.
Die eigentliche Herausforderung – nämlich ein modernes, sicheres und patientenzentriertes Gesundheitssystem zu schaffen – bleibt dabei auf der Strecke. Stattdessen werden Schnellschüsse abgefeuert, die in der Praxis oft mehr Probleme schaffen als lösen. Die Frage ist: Wie lange kann sich ein System das leisten, bevor die Kosten – finanziell, gesellschaftlich und gesundheitlich – zu hoch werden?
Quellen zu den im Text angesprochenen Themen
- Tagesschau: Spahns Einfluss auf die Gematik und die Kritik an der Personalentscheidung Leyck Dieken
- Ärzte Zeitung: Gematik unter Spahn – Die Selbstverwaltung als Zaungast
- Handelsblatt: Spahn macht Druck bei der elektronischen Patientenakte
- Transparency International: Kritik an der Berufung von Markus Leyck Dieken zum Gematik-Chef
- heise online: Datenschützer kritisieren Gesetzesentwurf zur elektronischen Patientenakte
- Deutschlandfunk: Digitale Gesundheitspolitik der Bundesregierung – Kritik an Tempo und Beteiligung
- Apotheke Adhoc: Spahn und die „Enteignung“ der Selbstverwaltung bei der Gematik
- Spiegel: Jens Spahn und die Gematik – Digitalisierung auf die Schnelle