a number of owls are sitting on a wire

Hybris – Angst auf High Heels

Es gibt diese besondere Sorte Stille, wenn jemand glaubt, er sei gerade von Bedeutung. Sie hängt im Raum wie zu schweres Parfum – süßlich, aufdringlich, unausweichlich. Arroganz, so könnte man sagen, ist die olfaktorische Signatur der Macht. Ein Geruch, der sich nicht durch Zahlen oder Argumente ausweist, sondern durch das selbstverständliche Gefühl, dass der eigene Platz am oberen Ende der Leiter naturgegeben sei.

Arroganz: Eine kurze Geschichte der Überhöhung

Im Altgriechischen nannte man sie Hybris – jene übersteigerte Selbstüberschätzung, die den Menschen in die Rolle der Götter drängt, bis die Nemesis, die strafende Ausgleichskraft, folgt. In der christlichen Tradition taucht sie als Todsünde auf: Hochmut, das Erste und vielleicht subtilste aller Laster. Heute wäre sie wohl ein Businessmodell. LinkedIn-Profile sind voll davon – Visionär, Disruptor, Thought Leader – die moderne Form der Götterdämmerung in 280 Zeichen.

Psychologisch betrachtet ist Arroganz oft nichts anderes als Angst auf High Heels. Sie wirkt stark, weil sie unsicher ist. Sie behauptet, sie wisse, wer sie sei, gerade weil sie es nicht weiß. Der arrogante Mensch braucht den anderen, um sich selbst zu spüren – als Spiegel, als Bühne, als Publikum. Ohne Resonanz wäre er nicht mehr als ein Monolog ohne Echo.

Und doch übt Arroganz eine seltsame Faszination aus. Sie erzeugt Distanz – und Distanz riecht nach Überlegenheit. In einer Gesellschaft, die Nähe und Austausch verkündet, bleibt sie das letzte Statussymbol, das man nicht kaufen, sondern nur verkörpern kann. Ironischerweise sind es oft jene, die sich als „besonders bodenständig“ präsentieren, die in dieser Pose verharren.

Elitäre Bühnen: Wenn Reden zum Spiegel wird

Beobachtet man den politischen Diskurs in Deutschland der letzten Jahre, fällt auf: Arroganz ist kein Fehltritt, sie ist Stilmittel geworden. Fakten werden nicht erklärt, sondern verkündet; Zweifel nicht zugelassen, sondern abgetan. Die Geste: ein leichtes Nicken, ein halbes Lächeln, eine rhetorische Drehung, die den Zuhörer disqualifiziert, bevor er überhaupt antworten darf.

Friedrich Merz, dieser konservative Gentleman der alten Schule, schafft es wie kaum ein anderer, die Kluft zwischen DAX-Vorstand und Biertisch zu illustrieren. Wenn er behauptet, zur „mittleren Einkommensschicht“ zu gehören, dann ist das keine Lüge – nur eine andere Definition von Mitte. Für ihn beginnt sie offenbar dort, wo andere schon mehrere Jahresgehälter später landen. Seine Arroganz ist nicht laut, sondern leise: der Ton eines Menschen, der davon überzeugt ist, er sei von Natur aus kompetenter als die anderen.

Christian Lindner hingegen ist der Rockstar des rhetorischen Narzissmus. Er performt Intelligenz, als sei sie ein TED-Talk mit Espresso. Seine Eleganz der Sprache täuscht über den Mangel an Empathie hinweg. Wenn er davon spricht, „keine neuen Schulden zu machen“, klingt das wie moralische Integrität, wirkt aber wie ein ökonomischer Puritanismus, der jene trifft, die nie Kredite bekamen. Die Arroganz seiner Worte besteht nicht in ihrer Härte, sondern in der Abwesenheit von Zweifel.

In beiden Fällen zeigt sich: Arroganz ist die Pose der Überzeugten – und Überzeugte sind selten neugierig.

Wer glaubt, er habe verstanden, hört auf, zuzuhören.

Die moderne Elite verwechselt Souveränität mit Distanz, Rationalität mit Kälte, Kompetenz mit moralischer Überlegenheit. Und der Diskurs nimmt diese Maskerade hin, weil er selbst nach Symbolen von Sicherheit sucht.

Die Sprache der Arroganz

Man erkennt sie sofort: jene kleinen sprachlichen Stiche, die Distanz erzeugen. „Diese Leute“, „man muss verstehen“, „realistisch betrachtet“. Wörter, die freundlich klingen und doch jede Brücke abbrechen. Arroganz spricht in Klammern und Nebensätzen, in Ironie, die sich nicht festlegen will. Sie ist ein rhetorischer Fallschirm – man kann sich immer darauf berufen, dass es ja „nicht so gemeint war“.

Die Ironie der Arroganz ist, dass sie sich selbst als Aufklärung inszeniert. Wer ironisch spricht, steht über den Dingen. Wer über den Dingen steht, muss nichts erklären. Und so verkommt die Sprache der Vernunft zu einer Mauer der Differenzierung, hinter der sich Macht bequem verstecken kann. Oder, um es mit Elias Canetti zu sagen: „Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch das Unbekannte.“ Arroganz ist also auch ein Selbstschutz – das intellektuelle Desinfektionsmittel gegen die Zumutung, sich auf andere einzulassen.

Besonders raffiniert wird es, wenn Arroganz bürgerlich wird. Die Fassade heißt dann „Mäßigung“. Man will ja sachlich bleiben, man will ja „nicht polemisieren“. Doch genau darin liegt der Trick: Wer ständig betont, wie vernünftig er ist, erklärt jede Kritik automatisch zum Extrem. So mutiert der Ton der Mäßigung zur Camouflage elitärer Überheblichkeit. Es ist das freundliche Lächeln des Arztes, der einem Patient erklärt, die Schmerzen seien „statistisch irrelevant“.

Über uns selbst

Doch bevor man sich zu sehr am Schauspiel der Eliten ergötzt, sollte man fragen, aus welcher Perspektive man zuschaut. Arroganz hat eine janusköpfige Struktur – sie existiert nur in der Relation zwischen oben und unten. Wenn wir also die da oben arrogant nennen, tun wir das aus einer Position heraus, die sich selbst als moralisch überlegen empfindet. Vielleicht ist der Vorwurf der Arroganz selbst ein verkleideter Spiegel unserer eigenen Kränkung.

Ich frage mich manchmal, ob ich nicht selbst in diese Falle tappe, während ich diese Zeilen schreibe. Der Spott über die Selbstüberschätzung anderer trägt oft den Duft eigener Selbstgewissheit. Es ist ein merkwürdiger Zirkeltanz: Wir kritisieren Arroganz mit einer Sprache, die selbst von Sicherheit lebt. Vielleicht sind wir alle Gefangene unserer Blase – der einen der Macht, der anderen der Meinung.

Und hier schließt sich der Kreis: Arroganz ist kein Charakterfehler, sondern ein soziales Syndrom. Sie wächst, wo Unsicherheit herrscht; sie blüht, wo Kontrolle zählt. In einer Gesellschaft, die permanent ihre Relevanz misst – Likes, Klicks, Status, Einfluss – wird Überheblichkeit zur Normalität. Arroganz ist die Pose, mit der man Schwäche performativ vermeidet.

Wenn Hochmut zur Methode wird

Der moderne Manager spricht nicht mehr von Zielen, sondern von Visionen. Politiker erzählen nicht, wie sie Probleme lösen wollen, sondern dass sie „Haltungen vertreten“. Der Diskurs ist voller Begriffe, die Distanz legitimieren: Verantwortung, Freiheit, Markt, Demokratie – Worthülsen, deren Lautstärke proportional zur inneren Leere wächst. Arroganz hat heute PowerPoint, Timer und ein Mikrofon.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum einfache, direkte Sprache als „populistisch“ gilt. Sie bricht die Codierung der Distanz. Wenn jemand klar spricht, verliert der andere die Gelegenheit, intellektuell überlegen zu klingen. In einer Kultur, die Bildung mit moralischem Wert verwechselt, wirkt Verständlichkeit schnell gefährlich.

Hier wird die Hybris des Denkens greifbar: Nicht die Überzeugung, recht zu haben, ist das Problem – sondern die Unfähigkeit, sich vorzustellen, man könne irren. Diese Form der Arroganz ist metastabil: Sie bricht erst zusammen, wenn die Realität lauter wird als der eigene Glaube. Und Geschichte lehrt, dass dieser Moment selten sanft verläuft.

Das Ende der Selbstgewissheit

Vielleicht ist Arroganz letztlich der Schatten der Angst, nicht wichtig genug zu sein. Die Angst, dass das eigene Denken, Reden, Entscheiden keine Spuren hinterlässt. Wer in dieser Welt gehört werden will, muss laut sein. Und wer laut ist, muss glauben, dass er etwas zu sagen hat. Arroganz ist also nicht der Makel der Mächtigen, sondern ihr Preis. Sie zahlen mit Isolation.

Merz blickt von oben herab – aber wohin schauen wir, wenn wir auf ihn herabblicken? Arroganz ist ein Kreislauf, kein Gefälle. Solange wir das nicht erkennen, bleibt sie die unsichtbare Grammatik unserer Gesellschaft: das unausgesprochene Du-weißt-nicht-was-ich-weiß, das in jeder politischen Talkshow mitschwingt, in jedem Kommentar über „die anderen“ schimmert.

Vielleicht braucht es keine moralische Läuterung, sondern nur ein leises Innehalten. Ein Satz, der nicht urteilt, sondern fragt. Ein Moment, in dem jemand, der sonst redet, einfach zuhört. Vielleicht beginnt dort das Gegenteil der Arroganz – nicht in der Demut, sondern in der Neugier.

 

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