Back to KISS?

Ein Traum in jeder Küche – der Thermomix, WLAN-fähig, mit Rezeptdatenbank und zum Schluss mit Ende der „Spielphase“ – Staubfänger.

Ein Traum in jeder Garage – ein Wagen mit allen erdenklichen Extras, Aufmerksamkeitsassistent, zonengesteuerte Klimaautomatik, gestengesteuertes Multimediasystem, Spurhalteassistent, Einparkassistenten u.s.w., zum Schluss verwendet – kaum oder gar nicht.

Ein Traum in jeder Kameratasche – ein Lichtfänger mit Mörderzoom und Tausenden an Motivprogrammen – zum Schluss verwendet – die grüne Vollautomatik.

Mir scheint, dass wir dem Automatisierungswahn immer wieder temporär verfallen, um dann festzustellen, dass ein Topf und ein Messer den Thermomix ersetzt, das die Automaten im Auto anfangen zu nerven, oder eine Kamera mit wenig Programmen wieder stärker zum Nachdenken über das Motiv einlädt.

KISS, ich hatte es schon einmal erwähnt, steht für „Keep It Simple & Stupid“1. Und letztlich sind wir Menschen zwar neugierig, aber auch Gewohnheitstiere, die dem bekannten Trott folgen und Neuerungen nur langsam aufnehmen.

Das ist auch gar nicht schlecht so, wenn man schaut, was die Convenience von Automatismen so mit uns anstellt.

„Ein Automat ist eine Maschine, die vorbestimmte Abläufe selbsttätig („automatisch“) ausführt. Der Begriff Automatik steht für eine Vorrichtung, die einen Vorgang steuert und regelt.“, so beschreibt es Wikipedia. Nehmen wir die beiden Sätze doch aber einmal auseinander. Es werden Abläufe selbsttätig ausgeführt, repetitiv, präzise.

Hier können wir auch schon gleich zwei verschiedene Überlegungen anstellen.

Abläufe

Wissen

Wenn uns der Automat die Abläufe abnimmt, brauchen wir diese auch nicht mehr zu kennen. Das fängt schon beim Kopfrechnen an, dass von den Altvorderen in Kindheit und Jugend bis zum Exzess geübt wurde, heute aber kaum noch eine Rolle spielt – wir haben ihn ja, den Automaten, den Taschenrechner.

Im Beispiel des Kopfrechnens ist es noch trivial, mit etwas Mühe können wir auch heute noch bis zu einem gewissen Grad mit dem Hilfsmittel Papier zumindest die Grundrechenarten nachvollziehen.

Schauen wir aber in die Wirtschaft, ist es mit dem Überblicken von Prozessen, also Abläufen schnell vorbei. Ich erlebe es regelmäßig, dass Abläufe in der Praxis ins Stocken geraten, weil man die Zwischenschritte nicht mehr im Hinterkopf hat. Auf triviale Hilfsmittel wie z.B. Programmablaufpläne (PAP) wird aber auch großzügig verzichtet. Man kennt sich ja aus.

Interessanterweise gibt es dann aber doch Aha-Erlebnisse und Diskussionen bei Kunden, wenn ich anfange, Abläufe zu malen. Dann sind auf einmal viele Dinge bei weitem nicht mehr so klar, wie zum Anfang der Diskussionen.

Präzision

Automaten erledigen Abläufe in einer viel höheren Präzision, als wir es manuell jemals erreichen würden. Damit sind die Ergebnisse plan- und reproduzierbar.

Was eigentlich einen Vorteil darstellt, kann man aber auch genauso gut als Nachteil empfinden.

Große Entdeckungen2 kamen durch Abweichungen in Prozessen und Abläufen zustande. Optimierungen erfolgen durch Varianzen, die im Automat so aber gar nicht vorgesehen sind.

Geschwindigkeit

Mit der Präzision kommt die Geschwindigkeit ins Spiel.

Geschwindigkeit lässt aber Eines nicht mehr zu – das Denken. Es heißt ja schließlich, „Man kann zwar schneller arbeiten, aber nicht schneller denken!“.

Beim Schreiben und Erarbeiten von erläuternden Grafiken für Präsentationen oder auch meine eigenen Bücher wurde mir gelegentlich Hilfe durch kostengünstigere Personen angeboten, was ich aber fast immer abgelehnt habe.

Während des (zugegebenermaßen) langsamen Prozesses der Grafikerstellung hatte ich Zeit, um über die Richtigkeit und die Didaktik des Themas nachzudenken und ggf. korrigierend einzugreifen. So waren Entwurf und fertige Grafik nicht unbedingt immer inhaltlich deckungsgleich.

Die gesteigerte Geschwindigkeit erschwert bzw. verhindert das Reflektieren und somit Optimieren. Können wir es uns wirklich leisten, immer schneller zu werden?

Vorrichtung

Bedienung

Wikipedia spricht von einer Vorrichtung, die als Automat dient. Ist es nicht frappierend, dass der Begriff für das Verwenden von Vorrichtungen „bedienen“ ist? Wir dienen dem Automaten, wir stellen unsere eigenen Ansprüche, unsere Vorstellungen, Planungen und Ansichten unter die Erfordernisse, die von einer Vorrichtung erzwungen werden.

Was im ersten Moment etwas theatralisch klingt, fängt schon bei einer Waschmaschine an, die bestückt und rechtzeitig wieder entleert werden muss, damit die Wäsche nicht knittert.

Der Begriff Vorrichtung ist natürlich auch etwas sperrig. Automaten können schließlich in so Vielem stecken, als dedizierte Geräte oder Funktionen in Maschinen, Verkehrsmitteln o.ä.

Eine der vermutlich prägendsten Vorrichtungen zur Beeinflussung unseres Lebensrhythmus‘ sind die kleinen, flachen Begleiter in unseren Hand- und Hosentaschen, unsere Smartphones. Sie erzwingen unsere Aufmerksamkeit durch automatisch zugestellte Nachrichten, Spiele oder sonstige Medien.

Gewöhnung

An Vorrichtungen, die uns das Leben erleichtern, gewöhnt man sich – sehr schnell sogar.

Etwa seit meinem 14. Lebensjahr habe ich eine Vorrichtung, ein Werkzeug derart im Gebrauch, dass ich sie fast immer bei mir trage, ein Schweizer Offiziersmesser. Die zwei Klingen, Schere und Korkenzieher sind mehr oder weniger regelmäßig im Einsatz. Habe ich das Messer nicht am Mann, vermisse ich es relativ schnell.

Vertrauen, Verantwortung

Aus der Gewöhnung entsteht Vertrauen in die Technik, die uns zu den kuriosesten Verhaltensweisen verleitet. Tesla-Fahrer, die ihr Fahrzeug vom Beifahrersitz aus bedienen oder gar der Rücksitzbank, Künstliche Intelligenz, die per Scoring-Algorithmen unser Verhalten analysiert und beschneidet – wir geben Verantwortung mit einer Leichtfertigkeit an Maschinen ab, die schon kaum noch nachzuvollziehen ist.

Das Ticket kommt trotz Blitzerwarner? Verantwortung ans Fahrzeug abgegeben – und verloren. Wir setzen Hoffnungen in die Technik, prüfen aber ihren Erfüllungsgrad nicht, weil Arbeitsplätze gefährdet werden könnten.

Alternativlosigkeit

Mit der Gewöhnung und dem Vertrauen kommt man aber auch recht schnell an den Punkt, dass man eine gewisse Einschränkung an Verwendungsalternativen entwickelt. Nun, beim Schweizer Offiziersmesser ist das eher kein echtes Problem, beim Smartphone schon viel eher.

Kinder in unserer übertechnisierten Welt kommen mit alternativen Methoden und Techniken doch immer seltener in Berührung, können mit bestimmten Gegenständen schon fast nichts mehr anfangen, wenn sie nicht durch Zufall darauf hingewiesen werden. So finde ich es immer wieder faszinierend, wenn Kinder das Bild sehen wollen, wenn ich mit analogen Kameras fotografiere. Dass es zum fertigen Bild noch ein langer Weg sein kann, erscheint ihnen dann als komplett unlogisch.

Die gedankliche Alternativlosigkeit spürt man im Moment auch recht deutlich in der Wirtschaft. Der Verbrennermotor wird verteufelt, der E-Antrieb gehyped, erforderliche Kraftwerke ignoriert, Facebook, Google, Amazon, & Co. als „to big to fail“ definiert. Andere Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsmethoden werden ob der Unwissenheit über Alternativen als Spinnerei abgetan.

Panik

Eine gewissen Panik beginnt aber spätestens dann aufzukeimen, wenn die ach so geliebten Automaten entweder nicht mehr wie gewünscht funktionieren, oder anfangen, seinem Schöpfer gefährlich zu werden3.

Panik kommt auch auf, wenn wir in unserer Persönlichkeit, unserer Arbeitskraft und unserem Sozialverhalten durch Maschinen ersetzt werden und alles zugunsten der Automaten.

Macht kaputt, was euch kaputt macht.„, singen Ton Steine Scherben schon seit 1970. Wenn euch also Automatismen kaputt machen, seid ungehorsam und entledigt euch Dieser, vielleicht nicht unbedingt durch Zerstörung, dann aber durch Mitdenken und Intelligenz.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.