a number of owls are sitting on a wire

„Too Big to Fail“ war gestern – heute ist „Too Rich to Care“

Ich habe lange geglaubt, dass die Wirtschaft ein System ist, das sich selbst korrigiert. Angebot und Nachfrage, Geld als Äquivalent für Waren und Dienstleistungen – ein Kreislauf, der sich selbst in Balance hält. Aber dieser Glaube bröckelt. Denn die Wirtschaft hat vergessen, was ihre eigentliche Aufgabe ist: Sie soll Produkte und Dienstleistungen für Menschen bereitstellen, nicht Geld anhäufen. Und genau hier liegt das Problem.

Vom Kreislauf zur Einbahnstraße

Eigentlich ist es ganz einfach: Wirtschaft ist Tausch. Ich biete eine Dienstleistung oder ein Produkt an und bekomme dafür Geld, das ich wiederum für andere Waren und Dienstleistungen einsetze. Ein Kreislauf. Doch was passiert, wenn Geld aus diesem Kreislauf verschwindet? Wenn es nicht mehr als Tauschmittel genutzt wird, sondern sich in den Händen weniger ansammelt, die es nicht mehr zurück in den Markt geben? Dann kommt weniger Geld bei den Menschen an, die es brauchen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.

Besonders problematisch wird das, wenn große Unternehmen Gewinne anhäufen, ohne diese in Form von Löhnen, Investitionen oder Rückflüssen in die Realwirtschaft weiterzugeben. Stattdessen wird das Geld gehortet, in Finanzprodukte gesteckt oder für Aktienrückkäufe genutzt – es bleibt im Finanzsektor und erreicht nicht mehr diejenigen, die es tatsächlich zum Leben brauchen. Dieser Stau im Geldkreislauf führt dazu, dass die reale Nachfrage sinkt, was wiederum die Produktion und das Wachstum hemmt. Ein Teufelskreis entsteht, in dem sich die Wirtschaft von ihrer eigenen Basis entkoppelt.

Menschen sind Produzenten und Konsumenten

Ein entscheidender Aspekt, der oft übersehen wird: Menschen sind gleichzeitig Produzenten und Konsumenten. Sie schaffen Waren und Dienstleistungen, die sie selbst oder andere benötigen. Doch die Wirtschaft hat diesen Blick vollkommen verloren. Stattdessen wird der Mensch nur noch als Konsument betrachtet – ein Fehler mit weitreichenden Folgen. Denn wenn Produzenten nicht mehr ausreichend verdienen, um selbst als Konsumenten zu agieren, bricht das System in sich zusammen. Ein funktionierender Markt kann nur existieren, wenn beide Rollen – Produktion und Konsum – im Gleichgewicht bleiben. Werden Produzenten unterbezahlt oder entlassen, fehlt es ihnen an Kaufkraft, was wiederum die Nachfrage senkt und Unternehmen in Schwierigkeiten bringt.

Geld ohne Gegenwert

Dieser Effekt wurde noch verstärkt, als Geld von seinem Äquivalent entkoppelt wurde. Früher stand hinter jeder Währung eine reale Absicherung – meist Gold. Das bedeutete: Wer eine Banknote in den Händen hielt, konnte sich sicher sein, dass diese einen konkreten Gegenwert in Form von Goldreserven hatte. Doch mit der Aufhebung der Goldbindung wurde Geld plötzlich beliebig vermehrbar. Während also die Menge an realen Gütern und Dienstleistungen konstant blieb, konnte man plötzlich unbegrenzt Geld drucken. Inflation war die logische Folge.

Doch Inflation ist nicht nur ein isoliertes Problem, sondern ein Symptom für eine tiefere Dysbalance. Wenn Geld seinen intrinsischen Wert verliert, wird es immer schwieriger zu beurteilen, was eine Ware oder eine Dienstleistung tatsächlich wert ist. Das Vertrauen in die Kaufkraft schwindet, und Menschen sowie Unternehmen beginnen, ihre finanziellen Entscheidungen stärker von Spekulationen abhängig zu machen. Das treibt die Schere zwischen finanziellen Eliten und der breiten Bevölkerung immer weiter auseinander, da erstere durch den privilegierten Zugang zu Kapital immer größere Vorteile genießen.

Aktien als neue Währung

Parallel dazu wurde der Aktienmarkt neu erfunden. Ursprünglich war eine Aktie nichts anderes als eine Beteiligung an einem Unternehmen, verbunden mit dem Recht auf eine Dividende, also einer Ausschüttung aus den Unternehmensgewinnen. Investoren wurden damit zu Mitunternehmern. Dieses System hat eine Zeit lang funktioniert. Doch dann geschah etwas: Aktien wurden zum Spekulationsobjekt. Es ging nicht mehr darum, wie gut ein Unternehmen wirtschaftet, sondern nur noch darum, wie sich der Kurs entwickelt. Spekulationsgewinne wurden wichtiger als die realen Erträge.

Mit der Einführung von quartalsweisen Berichten hat sich dieser Fokus auf kurzfristige Gewinne noch verstärkt. Unternehmen stehen unter immensem Druck, stets positive Zahlen zu präsentieren, selbst wenn dies bedeutet, langfristige Investitionen oder nachhaltiges Wirtschaften zu vernachlässigen. Dies führt dazu, dass Forschung und Entwicklung, Innovation und soziale Verantwortung oft als nachrangig betrachtet werden. Die einzige relevante Kennzahl ist der Aktienkurs – und alles andere wird dieser Logik untergeordnet.

Hochgeschwindigkeitsspekulation statt Unternehmertum

Während früher die Börse noch durch gewisse natürliche Regulative – Zeit, Nachdenken, Strategie – gesteuert wurde, haben Algorithmen diese Dynamik übernommen. Hochfrequenzhandel mit Mikrogewinnen ist zum Standard geworden. Unternehmen haben keine Zeit mehr, strategische Entscheidungen zu treffen – der Markt reagiert in Sekundenbruchteilen auf jede kleinste Veränderung. Wer nachdenkt, verliert.

Diese Entwicklung hat nicht nur zur Volatilität des Marktes beigetragen, sondern auch zu einer grundlegenden Verzerrung der Prioritäten. Unternehmerische Werte wie Verantwortung, Kundenzufriedenheit und nachhaltige Entwicklung treten in den Hintergrund, da es an der Börse nur noch um kurzfristige Gewinne geht. Die langfristige Stabilität von Unternehmen wird für kurzfristige Renditen geopfert – ein Muster, das sich letztlich als zerstörerisch für die gesamte Wirtschaft erweist.

Die Entkopplung vom Verursacherprinzip

Ein weiteres alarmierendes Muster zeigt sich immer häufiger: Die Gesellschaft muss für die Fehler der Wirtschaft aufkommen. Sei es die Bankenkrise, Umweltkatastrophen oder andere unternehmerische Fehlentscheidungen – die Kosten werden oft auf die Allgemeinheit abgewälzt, während die Gewinne weiterhin privatisiert werden.

Das klassische Verursacherprinzip, bei dem derjenige für Schäden haftet, der sie verursacht, wird zunehmend aufgeweicht. Unternehmen fordern staatliche Rettungspakete, Subventionen oder Ausnahmeregelungen, wenn ihre riskanten Spekulationen scheitern – ohne dabei die Chancen einer natürlichen Marktbereinigung zuzulassen. Diese Praxis verhindert nicht nur Innovation und Wettbewerb, sondern führt dazu, dass wirtschaftliche Fehlentwicklungen immer wieder auf Kosten der Gesellschaft korrigiert werden müssen.

Der Tunnelblick auf Geld zerstört das System

Und genau hier liegt das Problem: Geld ist heute nicht mehr das, was es sein sollte – ein Mittel zum Zweck. Es ist Selbstzweck geworden. Der Fokus auf Spekulation und Finanzgewinne hat den Blick auf das Wesentliche verstellt:

  • Beziehung zwischen Produzenten, Dienstleistern und Kunden
  • Reale Geldflüsse hin zu den Menschen, die die Wirtschaft am Laufen halten
  • Materialflüsse und Ressourcennutzung
  • Umweltfolgen und Gesundheit der Menschen

Ein radikaler Perspektivwechsel ist nötig

Die Wirtschaft muss wieder verstehen, was ihre Aufgabe ist. Sie ist kein Selbstzweck, kein reines Zahlenspiel. Wirtschaft ist dazu da, Waren und Dienstleistungen zu produzieren.

Und die Politik muss endlich den Mut aufbringen, genau das einzufordern: Die Rückkehr zu einem Wirtschaftssystem, das nicht nur den Aktienkurs im Blick hat – sondern die Menschen, für die es eigentlich existiert.

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