Einleitung: Die Illusion der digitalen Partnerschaft
Europa hat sich über Jahrzehnte auf Technologiepartner aus den USA verlassen – unter dem Banner globaler Zusammenarbeit. Doch diese vermeintliche Partnerschaft entpuppt sich zunehmend als Abhängigkeit mit kolonialen Zügen. Von Cloud-Infrastrukturen über soziale Netzwerke bis hin zu kritischen Kommunikationskanälen dominiert US-Technologie die europäische Digitalwelt. Die Konsequenzen dieser digitalen Fremdherrschaft treten heute klarer denn je zutage.
Politische Gefolgschaft: Duckmäusertum statt Unabhängigkeit
Die politische Abhängigkeit zeigt sich besonders deutlich, wenn Tech-CEOs zu Akteuren internationaler Machtspiele werden. Elon Musk beeinflusst mit X (ehemals Twitter) mediale Narrative, während Google, Amazon und Microsoft als politische Werkzeuge agieren, etwa durch das Sperren von Services oder gezielte Lobbyarbeit gegen europäische Regulierungen. Diese Entwicklungen zeigen: Die Loyalität dieser Konzerne gilt ihren nationalen Interessen – nicht einem freien, souveränen Europa.
Dass CEOs amerikanischer Unternehmen bereitwillig politischen Druck ausüben oder ihm folgen, wurde nicht zuletzt im Umgang mit Desinformationskampagnen, globalen Konflikten und auch europäischen Gesetzesinitiativen wie dem Digital Services Act deutlich. Duckmäusertum trifft dabei nicht nur die Politik, sondern auch große europäische Unternehmen, die sich vor möglichen Repressalien ducken.
Unzuverlässige Servicepartner: Wenn die Cloud zum Risiko wird
Die operative Dimension der Abhängigkeit zeigt sich in der Unzuverlässigkeit amerikanischer Servicepartner. Plötzliche Sperrungen von Accounts, Ausfälle kritischer Infrastruktur oder die einseitige Kündigung von Verträgen – allesamt reale Szenarien, die europäische Organisationen treffen können. Dabei geht es nicht nur um Komfort, sondern um Souveränität und Sicherheit.
Spätestens seit dem Techkolonialismus-Beitrag ist klar: Wenn Rechenzentren, KI-Plattformen und Kommunikationsdienste nicht in europäischer Hand sind, bleibt digitale Selbstbestimmung eine Illusion.
Europa braucht eigene digitale Infrastrukturen
Die Antwort auf diese Entwicklung kann nur lauten: Europa muss eigene Services und Infrastrukturen aufbauen. Das umfasst dezentrale Cloud-Lösungen, sichere Messengerdienste, KI-Modelle mit europäischer Lizenz und eigene Betriebssysteme. Projekte wie GAIA-X oder EuroStack weisen den Weg – doch sie müssen schneller, kompromissloser und visionärer umgesetzt werden.
Eine digitale Souveränität ist nur erreichbar, wenn Europa aus der Rolle des Nutznießers zum Produzenten wird. Und zwar nicht nur regulatorisch, sondern technologisch und wirtschaftlich. Die Zeit des Zögerns ist vorbei.
Vier Bausteine für europäische digitale Resilienz
- Open-Source fördern: Transparente, gemeinschaftlich entwickelte Software reduziert die Abhängigkeit von Konzernen. Open Source muss als strategische Infrastruktur verstanden und politisch gefördert werden.
- Investitionen in Deep Tech: Europa braucht gezielte Förderungen für Start-ups, die kritische digitale Infrastruktur entwickeln – von Cloud-Stacks bis zu KI-Trainingsplattformen.
- Digitale Bildung und Kompetenz: Souveränität beginnt mit Wissen. Programmierfähigkeiten, Datenschutzkompetenz und Systemverständnis müssen in die Breite getragen werden – von der Schule bis in Unternehmen.
- Regulatorische Flankierung und „Security by Design“: Klare schlanke Standards für Datenhaltung, Softwareeinsatz und Lieferketten schaffen rechtliche Sicherheit für europäische Alternativen. Gleichzeitig muss „Security by Design“ zum verbindlichen Prinzip jeder digitalen Entwicklung werden – also Sicherheit, Datenschutz und Missbrauchsprävention bereits in der Architektur eines Systems mitdenken, nicht erst im Nachgang adressieren.
Politische Einflussnahme systematisch minimieren
Finanzierungslücken und politische Einflussnahme sind zwei Seiten derselben Medaille. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen dauerhaft Mittel bereitstellen, die nicht an kurzfristige politische Interessen gebunden sind. Zudem braucht es supranationale Institutionen, die unabhängig und langfristig tragfähige digitale Infrastruktur fördern – ein Digitales CERN für Europa.
Ein zentraler Aspekt dabei: Die Systeme selbst müssen so gestaltet sein, dass politischer Missbrauch strukturell erschwert wird. Das bedeutet unter anderem vollständige Transparenz bei Algorithmen, klar definierte Zugriffsbeschränkungen, Rechenschaftspflichten für Betreiber sowie technische Mechanismen zur Nachvollziehbarkeit von Eingriffen – sei es durch staatliche Stellen oder privatwirtschaftliche Akteure.
Um diese Unabhängigkeit auch finanziell abzusichern, braucht es neue Modelle der kollektiven Finanzierung: Nutzer:innen – insbesondere Unternehmen, die auf digitale Infrastruktur angewiesen sind – sollten über eine zweckgebundene Abgabe zur Finanzierung von Rechenzentren, Open-Source-Entwicklung und digitaler Forschung beitragen. Diese Abgabe wäre bewusst nicht steuerbasiert und somit unabhängig von politischer Einflussnahme. So ließe sich die Rolle des Staates bewusst begrenzen – auf die Funktion eines rechtlichen Rahmens und Garant einer offenen, aber souveränen digitalen Infrastruktur.
Fazit: Der Moment der Entscheidung
Europa steht an einem Scheideweg: Entweder es bleibt die digitale Kolonie globaler Tech-Konzerne – oder es nimmt sein Schicksal selbst in die Hand. Der Aufbau eigener Dienste, das Entwickeln resilienter Infrastrukturen und die gezielte Vermeidung politischer Einflussnahme sind keine utopischen Forderungen, sondern strategische Notwendigkeiten. Die digitale Zukunft Europas beginnt jetzt – in Europa.