Als ich den aktuellen Heise-Artikel zu CarPlay Ultra las, wurde mir schnell klar: Die Euphorie über Apples Vorstoß ins Fahrzeuginnere ist nicht überall gleich groß. Während Apple die nächste Evolutionsstufe seines Infotainment-Systems als logische Zukunftsvision präsentiert, scheinen viele große Autohersteller eher zurückhaltend – ja fast ablehnend. Diese Reaktion hat mich neugierig gemacht. Nicht aus Prinzipienreiterei, sondern weil ich selbst seit fast 25 Jahren in der Automobilindustrie in den Bereichen der Funktionalen Sicherheit und Cybersecurity der Fahrzeugelektronik tätig bin – mit einem ausgeprägten Faible für Technik, Innovationen und Systemfragen.
Ich nutze Apple-Produkte durchaus gerne, wenn auch nicht mit missionarischem Eifer. Als technikaffiner Mensch interessiert mich nicht nur die Nutzeroberfläche, sondern auch das, was darunter liegt: Architektur, Integrationslogik, strategische Absichten. Und genau deshalb habe ich mir CarPlay Ultra etwas näher angeschaut. Was bringt es wirklich an funktionalem Mehrwert? Wo liegen mögliche Risiken – technisch, rechtlich, wirtschaftlich? Und was erklärt die Zurückhaltung auf Seiten der OEMs? Ein Versuch, Technikfaszination mit funktionaler und systemischer Reflexion zu verbinden.
Neue Features von CarPlay Ultra
CarPlay Ultra ist die nächste Generation von Apples Fahrzeug-Interface und bringt zahlreiche neue Funktionen sowie eine tiefere Integration ins Auto. Im Vergleich zur bisherigen CarPlay-Version sind folgende Features hinzugekommen:
Volle Integration auf allen Displays:
CarPlay Ultra übernimmt nicht nur das zentrale Infotainment-Display, sondern auch das digitale Kombiinstrument (Tacho, Drehzahlmesser, Tankanzeige, Temperaturanzeige).
Fahrzeugdaten wie Geschwindigkeit, Drehzahl, Kraftstoffstand, Motortemperatur, Reifendruck und Reichweite werden direkt in der Apple-Oberfläche angezeigt.
Pro | Contra |
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Geschwindigkeitsinformationen im Smartphone per GPS bereits verfügbar, Mehrwert nur in GPS-freien Räumen, z.B. Parkhaus | |
Bedeutung von Drehzahlmesser nur noch marginal dank hoher Quote an Automatik-Fahrzeugen bzw. E-Antrieben, tendenziell Überfrachtung mit Informationen | |
Tankinformation könnte im Smartphone bzgl. Reichweitenberechnung genutzt werden. | |
Temperaturinformationen liegen i.d.R. durch Wetterdaten und Apps vor |
Steuerung von Fahrzeugfunktionen:
Wichtige Fahrzeugfunktionen wie Klimaanlage, Radio, Fahrmodi, Fahrwerkseinstellungen und Einparksysteme sind direkt über CarPlay Ultra bedienbar – per Touchscreen, physische Tasten oder Siri.
Auch 3D-Kameraansichten und Audioeinstellungen lassen sich steuern.
Pro | Contra |
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Notwendigkeit der Bedienung funktional kaum notwendig | |
Widerspruch zur Handynutzung im Fahrbetrieb nach Straßenverkehrsordnung | |
Übertragung diverser Fahrzeugdaten ins Smartphone potentielle als Cybersecurity Vulnerability |
Anpassbare Dashboard-Designs:
Verschiedene Layouts, Farbschemata, Hintergründe und sogar markenspezifische Designs, die sich an die Identität des jeweiligen Autoherstellers anpassen lassen.
Wahl zwischen klassischen analogen und modernen digitalen Looks.
Pro | Contra |
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Layouts und Farbschemata sind auch ohne Tiefenintegration möglich, Schemes sind kein neues Feature | |
Umschaltung Display-Designs ist nicht neu |
Erweiterte Widget-Unterstützung:
Unterstützung von Apple-Widgets auf jedem Display, z.B. Kalender, Wetter, Akkustand, Fahrtdauer, Kraftstoffverbrauch u.v.m.
Widgets lassen sich vom iPhone direkt ins Auto übertragen und personalisieren.
Pro | Contra |
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Interessanter Aspekt1 | Widgets oft von Entwicklern von Apps stiefmütterlich behandelt |
Drittanbieter bekommen Zugriff auf Fahrzeugdaten |
Tiefe Personalisierung:
Apple-typische Designs sowie vom Hersteller inspirierte Grafiken, Farben, Muster und sogar topografische Hintergründe auswählbar.
Marken wie Aston Martin zeigen ihr Logo und spezielle Animationen direkt im Interface.
Pro | Contra |
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Personalisierung kann auch auf App-Ebene umgesetzt werden | |
Umfang Nutzeranforderungen m.E. zu hinterfragen2 |
Integration von Apple Intelligence und Siri:
Siri ist umfassend integriert und kann nicht nur Navigation, Musik und Nachrichten, sondern auch Fahrzeugfunktionen steuern.
Apple Intelligence ermöglicht neue Interaktionen, z. B. mit Drittanbieter-Apps für Parken, Tanken oder Essensbestellungen.
Pro | Contra |
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Sprachsteuerung ist kein neues Feature | |
Verlagerung aufs Smartphone verursacht potentiell (unnötige) Lizenzkosten | |
Schleichender Kompetenzverlust bei den OEMs | |
Übergabe von Informationen über (aktive3) Features an Smartphone bzw. App-Hersteller nötig |
Digitale Übernahme: Was CarPlay Ultra wirklich bietet
CarPlay Ultra verspricht ein vollständig durchgängiges Apple-Erlebnis im Auto. Erstmals reicht das System über das zentrale Infotainment-Display hinaus und besetzt auch das Kombiinstrument – also Tacho, Tankanzeige, Reifendruck und mehr. Auch Fahrzeugfunktionen wie Klima, Fahrmodi oder Einparkhilfen lassen sich über Apple bedienen. Dazu kommen Widgets, personalisierbare Oberflächen und die tief integrierte Apple Intelligence samt Siri.
Die Pro-Seite: Komfort, Konsistenz, Kontrolle
Aus Nutzersicht bietet CarPlay Ultra einige handfeste Vorteile:
- Einheitliches Interface: Wer Apple-Produkte nutzt, erlebt auch im Auto das vertraute Look-and-Feel. Das senkt zumindest theoretisch die Bedienhürde – gerade bei kurzen Fahrten oder im Mietwagen.
- Sprachsteuerung mit Siri: Viele Funktionen lassen sich per Sprachbefehl steuern, was theoretisch die Ablenkung reduziert.
- Zentrale Steuerung: Die Bündelung von Medien4, Kommunikation, Navigation und Fahrzeugfunktionen verspricht Effizienz und Übersicht.
- Personalisierung: Hintergrundbilder, Designs und Widgets lassen sich dem eigenen Geschmack anpassen – ein Lifestyle-Faktor, den viele Kunden schätzen könnten.
Die Schattenseite: Kontrollverlust und offene Fragen
Doch was aus Nutzerperspektive praktisch erscheint, wirkt aus Sicht der Autohersteller wie eine gefährliche Öffnung:
- Datensouveränität: Fahrzeugdaten wie Geschwindigkeit, Tankfüllung oder Reifendruck gelangen über CarPlay auf das Smartphone und demnach auf die Apps. Wer kontrolliert diese Datenströme? Und wie sicher sind sie?
- Cybersecurity-Risiken: Die Integration externer Systeme ins sicherheitskritische Fahrzeug-Ökosystem öffnet Angriffsflächen. Vor allem die Widget-Funktionalität durch Dritthersteller ist ein Risiko.
- Straßenverkehrsrecht: Die Steuerung von Fahrzeugfunktionen via Smartphone widerspricht teilweise der STVO – insbesondere wenn Touch-Interaktionen erforderlich sind. Auch ist nicht in jedem Land jede Form der Anzeige zulässig5
- Wettbewerbsverzerrung: Hersteller verlieren Kontrolle über das Interface – und damit über ein wesentliches Differenzierungsmerkmal. Apple kontrolliert die visuelle Nutzererfahrung, nicht der OEM.
Die Frage nach der Notwendigkeit
Einige der angekündigten Funktionen werfen auch die Frage nach ihrem tatsächlichen Mehrwert auf. Braucht es ein Apple-Design für Tacho und Tankanzeige? Ist die Steuerung der Klimaanlage über Siri wirklich praktikabler als über klassische Knöpfe? Vieles wirkt wie ein UI-Upgrade ohne tieferen Nutzen.
Genau an diesem Punkt wird die Bedeutung einer systematischen Funktionsanalyse deutlich – wie sie im Buch Item Definition – Bedeutung eines unterschätzten Dokuments beschrieben wird. Dort wird betont, dass die bloße Existenz oder Machbarkeit einer Funktion noch lange keinen Nutzen für den Nutzer generiert. Vielmehr bedarf es einer klaren Herleitung: Welche Nutzerbedürfnisse adressiert die Funktion? In welchem Nutzungskontext ist sie relevant? Und ist sie in der vorgeschlagenen Umsetzung wirklich die effizienteste Lösung?
Wendet man diese Logik auf CarPlay Ultra an, so bleibt vieles unklar. Warum sollte etwa die Anzeige der Motortemperatur in Apple-Optik einen tatsächlichen Mehrwert bringen – zumal diese Information ohnehin selten kritisch ist? Oder: Inwiefern verbessert ein animierter Hintergrund das Fahrerlebnis? Die Frage ist nicht, ob man diese Dinge technisch umsetzen kann – sondern ob man sie sollte.
Andere Features – etwa topografische Designs oder markenspezifische Animationen – ließen sich ohne tiefe Systemintegration auch über klassische Infotainment-Apps realisieren. Das spricht dafür, dass viele Innovationen eher aus einem Marketingimpuls denn aus echter Nutzerzentrierung heraus entwickelt wurden. Eine funktionale Prüfung nach dem Item Definition-Prinzip könnte helfen, den Fokus wieder auf das Wesentliche zu lenken: Relevante, kontextsensitive und tatsächlich nützliche Funktionen.
Einordnung: CarPlay Ultra als Symptom einer größeren Debatte
Die Diskussion um CarPlay Ultra ist mehr als ein Streit um ein Betriebssystem. Sie berührt fundamentale Fragen: Wer kontrolliert die digitale Plattform im Auto? Wie sicher sind vernetzte Fahrzeuge? Und wie weit soll Technologie in sicherheitsrelevante Bereiche eingreifen?
Apple zielt auf nichts weniger als das „iOSification“ des Cockpits – die vollständige Kontrolle über die Mensch-Maschine-Schnittstelle im Auto. Dabei geht es nicht nur um Design oder Nutzerfreundlichkeit, sondern um den Zugriff auf Daten, Schnittstellen und letztlich auf die strategische Kontrolle über das Kundenerlebnis. Für Hersteller steht damit die eigene digitale Identität auf dem Spiel – und ein erheblicher Teil ihrer zukünftigen Wertschöpfung.
Doch es gibt noch eine tiefere Ebene der Kritik: die politische Abhängigkeit von globalen Tech-Konzernen. Unternehmen wie Apple, Google oder Meta agieren nicht nur wirtschaftlich, sondern zunehmend auch geopolitisch und greifen wettbewerbsverzerrend ein. Ihre Server-Infrastrukturen, Datenverarbeitungsmodelle und Compliance-Vorgaben folgen primär US-amerikanischem Recht – nicht europäischem. Damit geraten Fahrzeugdaten, Nutzerverhalten und sogar sicherheitsrelevante Funktionen potenziell unter den Einfluss einer fremden Rechtsordnung.
Für europäische OEMs bedeutet das ein schwer kalkulierbares Risiko. Wer zentrale Fahrzeugfunktionen – etwa Warnsysteme, Fahrerassistenz oder Energieflüsse – über ein extern kontrolliertes Betriebssystem laufen lässt, entmachtet sich selbst und öffnet potenziell Tür und Tor für politische Einflussnahme oder wirtschaftlichen Druck.
Ein weiterer Aspekt ist die Monetarisierung des Nutzerkontakts. Sollte Apple die zentrale Plattform im Fahrzeug stellen, würde das Unternehmen auch bestimmen, welche Drittanbieter-Apps zugelassen, welche Inhalte priorisiert und unter welchen Konditionen Werbepartner eingebunden werden. Damit kontrolliert Apple nicht nur die Funktion, sondern auch den kommerziellen Rahmen – ein klarer Zielkonflikt mit den Interessen der Fahrzeughersteller und ihrer eigenen Serviceangebote.
Diese Bedenken sind nicht neu. Die Europäische Union hat in den letzten Jahren wiederholt auf die Notwendigkeit einer digitalen Souveränität hingewiesen. Programme wie Gaia-X sollen eine unabhängige, sichere und vertrauenswürdige Cloud-Infrastruktur für Europa schaffen. Der Digital Markets Act (DMA) reguliert marktbeherrschende Plattformen und setzt klare Grenzen für deren Zugriff auf Daten und Schnittstellen. Beides zeigt: Die EU will digitale Abhängigkeiten reduzieren und europäische Akteure stärken – auch im Mobilitätssektor.
Vor diesem Hintergrund ist die Zurückhaltung vieler Hersteller nicht nur ökonomisch motiviert, sondern auch ein klares Bekenntnis zu digitaler Eigenständigkeit. Die Frage lautet daher nicht nur: Welche Plattform ist nutzerfreundlicher? Sondern auch: Wer hat im Ernstfall die Hoheit über das Fahrzeug? Und wollen wir diese Verantwortung wirklich aus der Hand geben?
Fazit: Zwischen Tech-Vision und digitalem Machtkampf
CarPlay Ultra ist technologisch beeindruckend und konsequent weitergedacht. Es zeigt, was möglich ist, wenn ein Tech-Konzern konsequent den Nutzerfokus und die Systemintegration verfolgt. Die visuelle Klarheit, Personalisierungsmöglichkeiten und sprachbasierte Interaktion versprechen ein komfortables, reibungsloses Nutzererlebnis. Aus Sicht vieler Autofahrer mag das auf den ersten Blick sogar wünschenswert erscheinen – eine vertraute Benutzeroberfläche, wie man sie vom iPhone kennt, jetzt auch im Auto.
Doch der Preis ist hoch: Der Eintritt von Apple ins Herzstück des Fahrzeugs – das Cockpit – bedeutet einen massiven Machtzuwachs. Fahrzeugdaten, Nutzerverhalten, Steuerungsfunktionen und sogar kommerzielle Schnittstellen würden unter Kontrolle eines externen Ökosystems stehen. Damit verlieren die Autohersteller nicht nur technische Kontrolle, sondern auch wirtschaftliche und markenstrategische Souveränität. Gleichzeitig entstehen neue Abhängigkeiten in einer Zeit, in der sich die geopolitischen Spannungen zwischen USA, Europa und anderen Weltregionen verschärfen.
Ein oft unterschätzter Aspekt in dieser Debatte ist die Frage nach der Datenhoheit. Die über CarPlay Ultra generierten Daten – von Bewegungsprofilen über Energieverbrauch bis hin zu Interaktionsmustern – sind ein enormer Rohstoff. Sie bilden die Grundlage für algorithmische Optimierung, personalisierte Dienste, aber auch für neue Geschäftsmodelle. Wer über diese Daten verfügt, besitzt nicht nur Information, sondern zunehmend auch Macht. In einem datengetriebenen Markt ist Kontrolle über die Datengenerierung und -auswertung ein strategischer Vorteil – und genau diesen Anspruch erhebt Apple mit CarPlay Ultra.
Parallel dazu zeigt sich, dass auch andere US-amerikanische Tech-Unternehmen wie Palantir zunehmend Einfluss im Bereich vernetzter Mobilität und öffentlicher Infrastrukturdaten gewinnen. Die Firma, bekannt für ihre militärischen und geheimdienstlichen Datenanwendungen, ist inzwischen auch in europäischen Verkehrsprojekten, urbaner Mobilitätsplanung und kritischer Infrastruktur involviert. Auch hier stellt sich die Frage: Wollen wir sensible Mobilitätsdaten – die potenziell Rückschlüsse auf Bewegungsströme, Infrastrukturzustände und sogar sicherheitsrelevante Abläufe erlauben – in die Hände von Unternehmen legen, die außerhalb demokratischer Kontrolle operieren?
Die Zurückhaltung vieler OEMs ist daher kein Ausdruck von Technikfeindlichkeit oder Innovationsskepsis. Sie reflektiert vielmehr eine wachsende Sensibilität für digitale Selbstbestimmung, Datensouveränität und die langfristige Bedeutung eigener Plattformstrategien. Dass dabei nicht jeder Hersteller auf Apple aufspringen will, ist Ausdruck eines notwendigen und legitimen Abwägungsprozesses.
Die Frage, ob sich CarPlay Ultra durchsetzt, entscheidet sich somit nicht allein auf technischer Ebene. Es geht um mehr als nur Usability oder Designästhetik. Es geht um die Frage, wem die digitale Zukunft des Automobils gehört: den klassischen Herstellern, die sich neu erfinden müssen? Oder den Tech-Giganten, die bereits den Alltag der Nutzer dominieren?
Politisch geht es um regulatorische Rahmenbedingungen – etwa im Rahmen des Digital Markets Act oder zukünftiger Vorgaben zur Datenkontrolle im Fahrzeug. Wirtschaftlich geht es um Geschäftsmodelle, Monetarisierung und Wettbewerb. Und kulturell stellt sich die Frage, ob das Auto künftig ein „erweitertes Smartphone auf Rädern“ wird – oder ein autonomes Produkt mit eigenständiger Identität.
CarPlay Ultra ist daher weniger eine technische Innovation als ein Lackmustest für die digitale Zukunft des Automobils. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob sich das automobile Betriebssystem der Zukunft in Cupertino, Stuttgart oder vielleicht doch in Brüssel entscheidet.