Ich bin Ficus Benjamini. Langjährige Zierde, stummer Zeuge des Alltags und grünblättriger Überlebenskünstler. Heute berichte ich von einem Ereignis, das jedes Jahr wie ein Naturgesetz über mich hereinbricht: dem Frühjahrsputz. Was für manche ein Akt der Erneuerung ist, ist für mich ein Überlebensmanöver auf chlorophylliger Ebene. Es ist Krieg. Gegen Staub. Gegen Lärm. Gegen die unkontrollierte Macht des Staubsaugers.
Vor dem Sturm: trügerische Ruhe
Es beginnt immer gleich. Ein Elternteil ruft: „So Leute, heute wird geputzt!“ Die Kinder stöhnen. Die Katze verzieht sich unter das Sofa. Ich… ich bleibe, wo ich bin. Denn was soll ich tun? Wegrollen? Mich einpflanzen? Tarnen?
Dann passiert lange nichts. Eine halbe Stunde verstreicht mit Diskussionen darüber, wer was macht. „Ich hab gestern schon Müll runtergebracht!“ – „Warum muss immer ich das Klo schrubben?!“ – „Ich hab ADHS, ich darf multitasken!“ Schließlich: Musik. Laut. Irgendein 2000er-Putz-Playlist-Monster mit Shakira und Queen. Der Vater trägt ein Stirnband. Die Mutter Gummihandschuhe. Die Kinder Besen. Ich ahne: Es wird schlimm.
Operation „Wohnzimmer entstauben“
Zuerst wird das Wohnzimmer umgeräumt. Möbel werden geschoben wie Schachfiguren auf einem Brett, das nie jemand gewinnt. Ich werde verschoben. Grob. Mit einer Bemerkung wie: „Stell den Ficus mal kurz hierhin.“ Kurz. Hahaha.
Ich stehe nun auf dem Flur. Direkt an der Durchgangszone. Jede Berührung, jeder Stoß, jede Vorbeihusch-Bewegung droht mein Gleichgewicht zu gefährden. Die Katze springt über mich hinweg – dreimal. Jedes Mal sehe ich mein Leben vorbeiziehen. Kurz. In Sepia.
Dann kommt der Staubsauger. Er brummt. Er röhrt. Er lebt. Und er hat eine Mission: Alles einsaugen, was nicht niet- und nagelfest ist. Ich zittere. Meine trockenen Blätter rascheln leise. Er nähert sich. Einmal, ganz knapp, saugt er ein Blatt an – und lässt es wieder los. Ich bin ein Blatt vom botanischen Burnout entfernt.
Die Küche – eine Reinigungs-Soap in mehreren Akten
Die Mutter schrubbt. Der Vater organisiert das Gewürzregal neu. Die Kinder werden in zwei Lager geteilt: „Müllteam“ und „Spültrupp“. Die Stimmung schwankt zwischen Motivation und Aufstand. Ich werde mit einem feuchten Mikrofasertuch abgewischt. Das ist das erste Wasser, das ich seit drei Tagen sehe. Es riecht nach Lavendel und Enttäuschung.
Zwischenzeitlich wird ein Glas umgeworfen. Der Boden klebt. Die Katze rennt hindurch. Und dann… kommt das Wischen. Ein Mob – so nennt man das Gerät, nicht die Stimmung – fährt gefährlich nah an meinem Topf vorbei. Einmal bleibt er hängen. Ich kippe. Ganz leicht. Die Welt kippt mit mir. Niemand bemerkt es.
Das Bad: Hygienischer Hochverrat
Das jüngere Kind reinigt die Toilette mit sichtbarem Ekel. Das pubertierende Kind weigert sich, das Waschbecken anzufassen. Die Eltern übernehmen. Ich höre Putzmittelflaschen spritzen, Zahnbürsten in Bechern klappern und zwischendurch: „Warum liegt hier ein Joghurtdeckel in der Dusche?!“
Die Katze bringt ein Haarballengeschenk und wird aus dem Bad verbannt. Ich sehe sie später, wie sie im Schlafzimmer die Wäsche attackiert. Ich sage nichts. Ich bin nur eine Pflanze. Aber ich dokumentiere. Intern. Für mein zukünftiges Pflanzen-Trauma-Tagebuch.
Endphase: Müdigkeit trifft Mikroorganismen
Gegen Abend sind alle erschöpft. Die Wohnung glänzt – zumindest auf den ersten Blick. Ich werde wieder an meinen alten Platz geschoben. „Da warst du doch, oder?“ Ja. Da war ich. Dort, wo ich nie gegossen werde. Dort, wo der Staub sich schneller sammelt als Aufmerksamkeit für Zimmerpflanzen.
Ich stehe still. Wieder. Der Staubsauger ist verstaut. Die Playlist ist verklungen. Die Familie sitzt auf dem Sofa. Chips in der Hand. Müdigkeit im Blick. Die Mutter sagt: „Endlich wieder sauber.“ Ich schweige. Ein Blatt löst sich. Es segelt langsam zu Boden – wie ein stiller Kommentar zu allem, was hier geschehen ist.
Fazit: Frühjahrsputz – ein Trauma in Etappen
Ich bin Ficus Benjamini. Ich habe überlebt. Wieder. Zwischen Chemiedämpfen, Möbelschiebeaktionen und dem diabolischen Schlauch des Staubsaugers. Ich wurde ignoriert, verrückt, berührt, verrückt, abgewischt und wieder vergessen.
Aber ich bin noch da. Stehend. Grün. Leise. Und bereit – für den nächsten Putzwahnsinn. Vielleicht. Wenn man mich bis dahin nicht endgültig vertopft.
Guten Morgen, waren das die Worte einer Pflanze oder eines Obdachlosen, der bei der morgendlichen Stadt oder Fußgängerzonenreinigung im Weg stand?
Upps – ich bin noch da?! weil ich nicht in den Sauger passte???
LG Wolfgang
Ich kann doch nichts dafür, wenn sich sogar die Flora ins Geschehen drängt