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Entfaktum durch People Pleaser – Warum wir uns Schritt für Schritt selbst entmündigen

Wir leben in einer Zeit, in der Fakten auf Knopfdruck überprüfbar sind. Das Internet, Datenbanken und digitale Archive haben theoretisch jede Form des Halbwissens entmachtet.

Doch paradoxerweise hat dies nicht zu mehr Klarheit geführt, sondern zu einer wachsenden Verwirrung. Denn wenn jeder jederzeit alles „nachprüfen“ kann, verliert die Autorität des Wissens an Gewicht.

Fakten werden zu einem Baukasten, aus dem sich jeder seine eigene Realität zusammensetzt. Anstatt Wahrheit zu stärken, hat die ständige Verfügbarkeit sie relativiert.

Die Welt der Experten – Wissen als inflationäre Ressource

Wir sind umgeben von Experten. Von Fußball bis Nahostpolitik, von Genderstudien bis Technologieethik, von Wirtschaft bis Medizin. Kaum ein Thema, zu dem sich nicht jemand mit einem Titel, einer Position oder zumindest dem Anschein von Expertise äußert.

Das Problem: Expertise ist zur Massenware geworden. Jeder Sportkommentator ist auch politischer Kommentator. Jeder Social-Media-Nutzer sieht sich als Gesundheitsexperte. Die eigentliche Autorität echter Fachleute wird durch die unzähligen Stimmen übertönt.

Ein Spezialist im Bereich der Virologie ist heute medial nur eine Stimme unter vielen, mitunter sogar weniger gehört als der eloquente Laie.

Das Resultat: Wir ertrinken in einem Meer aus Expertenmeinungen, die sich gegenseitig widersprechen und die Unterscheidbarkeit von Wissen und Meinung auflösen. Der Wert von fundiertem Wissen verliert gegen den Schein von Schlagfertigkeit und Aufmerksamkeitsökonomie.

Die Welt der Kommentare – das Ende der Scham

Parallel dazu haben wir eine Kommentar-Kultur geschaffen, die ohne jede Hemmung agiert. Jeder Beitrag im Netz, jede Nachricht, jedes Ereignis wird von einem Schwarm an Meinungen begleitet – oft anonym, immer aber lautstark. Dabei sind die Grenzen des Anstands und auch die Schwelle des Wissens längst gefallen.

Kommentare werden nicht mehr aus Wissen, sondern aus Emotion gespeist: Sympathien, Antipathien, tribalistische Reflexe. Die Kommentarspalten sind das Abbild einer Gesellschaft, die sich lieber empört als informiert. Ein Klick ersetzt die Recherche, ein Gefühl den Gedanken.

Die Welt der People Pleaser – Angst vor Gegenwind

Aus dieser Mischung erwächst eine weitere Krankheit unserer Gegenwart: das Phänomen der People Pleaser. Menschen, die nicht widersprechen wollen, die gefallen wollen, die Angst haben, gegen den dominanten Strom zu schwimmen.

Wer permanent mit öffentlicher Kommentierung rechnen muss, entwickelt eine Art vorauseilenden Gehorsam.

Man spricht so, dass es niemandem wehtut, stimmt lieber zu statt Konflikte auszuhalten. Das führt zu einer Kultur der Ja-Sager, in der Anpassung höher bewertet wird als Integrität.

In Politik und Wirtschaft führt dies zu homogenen Gremien, die keine unbequemen Wahrheiten mehr zulassen. In privaten Beziehungen verarmt der Diskurs, weil Widerspruch durch Schweigen ersetzt wird. Am Ende ist das People-Pleasing eine subtile, aber zerstörerische Form der Selbstaufgabe.

Fortschritt ohne Zukunft

Wir leben damit in einer Welt, die uns trotz permanentem Fortschritt, trotz permanentem Wissensaufbau und trotz stetig neuen Erkenntnissen immer weiter von der Zukunft entfernt.

Das Paradoxe: Je mehr wir wissen, desto weniger setzen wir davon um. Der Fortschritt bleibt in der Theorie stecken. Statt freier Diskussion und kritischer Innovation erleben wir eine fortschreitende Lähmung – wie ein Motor, der zwar aufheult, aber nicht in den Gang schaltet.

Dantes Inferno und die Reiter der Apokalypse

Dieses Klima ähnelt einer Höllenlandschaft, wie Dante sie beschrieben hat: ein Ort, an dem Sprachlosigkeit, Feigheit und Anpassung die Seelen gefangen halten.

Der Hufschlag der apokalyptischen Reiter hallt tatsächlich lauter, als wir es wahrhaben wollen. Denn nichts zerstört schneller als eine Gesellschaft, die ihre Fähigkeit zum Widerspruch verliert. Wer nicht widerspricht, duldet. Wer duldet, schweigt. Wer schweigt, macht Platz für Korrupte und Gewaltbereite.

Die neue Inquisition der Masse

Besonders gefährlich ist die neue Herrschaft der Inquisition – nicht mehr von kirchlicher oder staatlicher Seite, sondern von der anonymen Masse selbst.

Social-Media-Plattformen sind die digitalen Scheiterhaufen unserer Zeit. Wer abweicht, wird nicht widerlegt, sondern gecancelt. Nicht Argumente zählen, sondern die moralische Entrüstung, die kollektiv inszeniert wird.

Dies ist die Transformation der Inquisition in eine vermeintlich „demokratische“ Variante: Ankläger, Richter und Henker sind identisch und sie agieren gleichzeitig, sofort und unerbittlich.

Duldung bis zur Selbstaufgabe

Damit entsteht eine Kultur der Duldung bis zur Selbstaufgabe. Niemand wagt es, gegen den Strom zu schwimmen, systemische Missstände offen zu benennen oder alternative Perspektiven einzubringen.

Korruption – sei sie wirtschaftlicher, politischer oder geistiger Natur – erhält so einen Freibrief. Denn solange man im Chor mitsingt, wird man nicht angegriffen. Diese stillschweigende Konspiration führt zu einer Ohnmacht, die gefährlicher ist als offene Gewalt.

Geistige Inzucht und das Vermeiden des Fremden

Eine weitere Folge ist die geistige Inzucht. Frisches Blut, unkonventionelle Gedanken, unbequeme Ideen werden gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Gesellschaftliche Diskussionen kreisen um sich selbst, politische Lösungen wiederholen alte Muster, kulturelle Produktionen verlieren jede Radikalität.

Die kreative Kraft, die nur durch Reibung und Konfrontation entsteht, versiegt. Eine Gesellschaft, die Andersartigkeit systematisch ausschließt, verliert mittelfristig ihre Überlebensfähigkeit.

Die Ökonomisierung der Gewalt

Besonders drastisch ist der Blick auf die Gewalt. Wir leben in einer Welt, in der Gewalt nicht nur politisch instrumentalisiert, sondern auch wirtschaftlich direkt gefördert wird – sei es durch den globalen Waffenhandel, durch die Vermarktung von Konflikten in den Medien oder durch das Verwerten des Spektakels von Zerstörung.

Gewalt ist nicht mehr allein krimineller Ausnahmefall, sondern Teil einer globalen Industrie. Sie wird nicht nur geduldet, sondern in Wert gesetzt.

Fazit: Der gefährliche Preis des People Pleasing

Die permanente Nachprüfbarkeit von Fakten, die Explosion der Expertise, die Kommentarflut und die Angst vor Gegenwind hätten zusammen eine Gesellschaft der Aufklärung schaffen können.

Stattdessen haben sie eine Kultur der Lähmung hervorgebracht. Wir zahlen den Preis des People Pleasing, indem wir unsere Fähigkeit zur Kritik, zur Unabhängigkeit und schlussendlich zur Freiheit verlieren.

Nur wer den Mut hat, gegen die Flut von Anpassung, Experteninflation und moralischer Inquisition zu stemmen, kann den Weg in eine wirkliche Zukunft freilegen.

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