Es riecht wieder streng in der politischen Landschaft. Nicht nach verantwortungsvoller Macht, sondern nach Bequemlichkeit. Nach Postenschieberei, nach Stallgeruch, nach dem süßlichen Mief der Selbstgerechtigkeit. Willkommen im neuen Normal der politischen Personalpolitik – wo Qualifikation zur Nebensache und Common Sense zum FremUnsensible Personalentscheidungen, geistige Inzucht und Profitgier zerstören das Vertrauen in die Demokratie – ein wütender Zwischenruf.dwort geworden ist.
Der neue Trend: Unsensible Personalentscheidungen als Stilmittel
Früher nannte man es noch Affront, wenn Politiker mit offenen Augen ins Fettnäpfchen traten. Heute scheint es Strategie zu sein. Unsensible Personalentscheidungen – Minister, Staatssekretäre, Aufsichtsräte – überall dieselbe Melodie: Loyalität schlägt Kompetenz, Parteibuch ersetzt Eignung. Wer sich brav anpasst, bekommt den Posten. Wer wagt, unbequem zu sein, darf gehen.
Es ist, als hätte man die Idee von Meritokratie durch ein schlecht kopiertes Stammtischprinzip ersetzt: Hauptsache einer von uns. Und wenn’s jemand anders trifft – tja, Kollateralschaden. Die Botschaft ist klar: Haltung stört den Betriebsfrieden.
Stallgeruch schlägt Kompetenz
Nie war der Begriff „Stallgeruch“ so oft bemüht – und so entlarvend. Was eigentlich Nähe, Vertrauen und gemeinsame Werte ausdrücken soll, ist längst Synonym für Inzucht geworden. Wer dazugehört, muss nicht mehr können, nur wollen (und die richtigen Freunde haben).
In den Ministerien, Behörden und Parteizentralen setzt sich das fort: Jahrelange Fachleute, die inhaltlich wirklich etwas beitragen könnten, bleiben außen vor. Stattdessen steigen jene auf, die wissen, wie man intern die richtigen Töne trifft. Das ist kein Zufall, das ist System. Und es ist der Grund, warum politische Entscheidungen zunehmend wirken, als hätten sie mit der Realität da draußen nichts mehr zu tun.
Wir spotten über Pam Bondi, Kash Patel, Pete Hegseth und Robert Kennedy Junior – als wären die Clowns nur drüben zu Hause. Dabei liefern wir hier das gleiche Kabarett in Krawatte: Wolfram Weimer, Alexander Dobrindt, Jens Spahn und Julia Klöckner etc.. Die gleichen selbstgefälligen Stichwortgeber des Immergleichen, geschniegelt, geföhnt und geistig auf Sendepause. Das ist kein Fehler im System – das ist das System. Und deshalb wirken politische Entscheidungen heute, als wären sie in einem Konferenzraum auf dem Mars entworfen worden – von Leuten, die Erde nur aus PowerPoint kennen.
Personalien ohne Rückgrat
Hinzu kommt ein neues Phänomen: Personalien ohne Rückgrat. Menschen, die jeden Kurswechsel mitmachen, solange er dem eigenen Vorteil dient. Die sich in jede politische Windrichtung drehen, solange sie selbst dabei nicht frieren. Man hat den Eindruck, viele Mandatsträger hätten jegliches Maß verloren – und zwar nicht nur moralisch.
Wer bereits auf einem exorbitanten Gehaltsniveau1 angekommen ist, scheint seltsam getrieben von dem Wunsch, noch „ein bisschen“ mehr herauszuholen: ein zusätzlicher Posten hier, ein Aufsichtsratsmandat dort, vielleicht eine Beratertätigkeit als Bonus. Provisionen sind auch gerne gesehen. Nie genug. Immer ein Auge auf den eigenen Profit gerichtet, während man das Mäntelchen in jedes noch so laue Lüftchen hängt. Das ist nicht mehr Gestaltungswille, das ist politische Selbstbedienung.
Das Referat „Kerntechnologien“: Ein Paradebeispiel
Das jüngste Beispiel: Micha Sygusch, der frühere Büroleiter von Robert Habeck, führt jetzt das Referat „Kerntechnologien“ im CDU-geführten Bundeswirtschaftsministerium. Eine Personalie, die zunächst überrascht – und die Fragen aufwirft. Warum gerade Sygusch? Was qualifiziert ausgerechnet einen langjährigen politischen Vertrauten und ehemaligen Büroleiter für ein Referat, in dem es um hochsensible, technisch komplexe Zukunftsfragen geht?
Das Ministerium schweigt zu Auswahlkriterien und Verfahren, der Eindruck drängt sich auf: Hier geht es weniger um fachliche Tiefe als um nahtlosen Übergang im politischen Betrieb. Die Symbolik ist fatal – ausgerechnet im Bereich Kerntechnologien, der wie kaum ein anderer nach unabhängiger, breit aufgestellter Expertise schreit, wirkt die Personalie wie ein Musterbeispiel für das Prinzip „Politik vor Fachkompetenz“.
Geistige Inzucht als Systemfehler
Genau hier zeigt sich, was ich im Artikel „Begrenzter Horizont“ als Problem der Eliten beschrieben habe: Eliten mit unbegrenztem Budget, aber begrenztem Horizont, die ihre Entscheidungen in immer kleineren, homogeneren Zirkeln treffen. Wer sich in diesen Kreisen bewegt, rekrutiert wieder nur aus denselben Netzwerken – politische, persönliche, institutionelle –, statt bewusst Reibung, Widerspruch und echte Vielfalt zuzulassen.
Diese geistige Inzucht sorgt dafür, dass neue Köpfe nachrücken, die genau so denken, sprechen und entscheiden wie ihre Vorgänger – nur jünger, glatter, angepasster. Der Horizont bleibt gleich eng, nur die Gesichter wechseln. Wer das detailliert nachlesen will, findet die Analyse dazu in meinem Artikel „Begrenzter Horizont“, wo genau diese Mechanismen der Selbstreproduktion von Eliten und ihrer inneren Verarmung auseinander genommen werden.
Qualifikationen? Nur ein Accessoire
Jede neue Berufung, jede Pressekonferenz zur Vorstellung eines neuen Hoffnungsträgers läuft gleich ab: Der Lebenslauf wird gelobt, die vermeintliche Erfahrung hervorgehoben – „eine ausgewiesene Expertin auf ihrem Gebiet“. Nur: Wer sich die Biografien genauer ansieht, stößt oft auf Floskeln statt Fakten. Abwechslung zwischen Posten – ja. Nachweisbare Erfolge – Fehlanzeige.
Zwischen wirtschaftlicher und politischer Erfahrung wird dabei längst kein Unterschied mehr gemacht – als lägen beide auf einer Ebene. Dabei handelt es sich um zwei völlig verschiedene Welten: die eine zielt auf Effizienz und Ergebnis, die andere auf Machtbalance und Deutungshoheit. Doch wo früher Fachkompetenz und klare Verantwortung galten, verschwimmen heute die Grenzen zugunsten derer, die überall ein bisschen mitreden können, ohne je greifbar zu werden.
Diese Menschen werden nicht trotz mangelnder Eignung berufen, sondern wegen ihrer fehlenden Kanten. Anpassung ist zur obersten Qualifikation geworden. Und der Vorschuss an Lorbeeren? Der wird routinemäßig in den Wind gesprochen, bevor die Realität ihn längst widerlegt hat.
Gleichberechtigung im Zynismus
Und bevor irgendjemand den Reflex hat zu sagen: „Aber immerhin sind jetzt auch Frauen in Machtpositionen“ – ja, sind sie. Und das wird gefeiert. Nur steht Gleichberechtigung auf einem wackeligen Fundament, wenn Rückgrat, Empathie und Unabhängigkeit auf der Strecke bleiben. Frauen in Spitzenämtern, die die gleiche unsensible, lobbyhörige und machtorientierte Politik betreiben wie ihre männlichen Kollegen, bedeuten nicht Fortschritt – sie bedeuten Gleichstand im Falschen.
Wer glaubt, Diversität sei schon erfüllt, wenn auf dem Gruppenfoto mehr als ein Geschlecht vertreten ist, der hat den Sinn vertan. Gleichberechtigung braucht Charakter, nicht nur Quote.
Ignorierte Warnzeichen: Politikverdrossenheit als Dauerzustand
Wie oft muss man noch sagen, dass Menschen das nicht mehr mitmachen? Dass Wähler nicht dumm sind? Seit Jahren zeigen Studien, etwa von der Bundeszentrale für politische Bildung, dass Vertrauen in Parteien und Politiker auf einem Tiefpunkt ist. Trotzdem wird weiter agiert, als sei das ein launisches Randphänomen.
Man klopft sich in Sitzungen gegenseitig auf die Schulter, während draußen Fassungslosigkeit herrscht. Jede Fehlbesetzung, jede Nebelkerze treibt ein weiteres Stück Bevölkerung in die politische Resignation. Und wenn wieder jemand sagt, „Das verstehen die Leute nur nicht“, dann zeigt das vor allem eins: Eine tiefe Arroganz gegenüber den eigenen Wählern.
Elfenbeinturm mit Aussicht auf den Abgrund
Es ist kaum noch Ironie nötig, um die politische Realität zu beschreiben. Denn der Elfenbeinturm ist längst gebaut. Und er wächst weiter – Stockwerk um Stockwerk, mit jeder neuen Personalie, die mehr nach Machtkalkül als nach Verantwortung riecht. Wer da oben sitzt, sieht die Welt von unten nur noch verschwommen. Die Straßen, die Debatten, die echten Sorgen – sie erscheinen weit entfernt und unwichtig. Bestes Beispiel – Merz und die Hebammen – keine Ahnung, kein Rückfragen, keine persönliche Relevanz2.
Entscheidungen werden unter „Gleichgesinnten“ gefällt, berechtigte Kritik3 wird als persönlicher Angriff gewertet. Keine Relativierung, keine persönliche Distanz. So entsteht eine geschlossene Blase, in der kein frischer Wind mehr zirkuliert.
Aber was passiert, wenn der Turm irgendwann ins Wanken gerät? Wenn die da unten einfach nicht mehr zuhören, weil sie den Glauben verloren haben, dass oben überhaupt noch jemand zuhört? Die Antwort darauf könnte hässlich werden. Die Axt an den Elfenbeinturm anlegen wird dann die AfD, auch wenn sie die gleichen Methoden verwendet und einen neuen Turm aus alten Trümmern errichten wird.
Selbstgefälligkeit als Regierungsstil
Die größte Tragödie dieser Entwicklung ist die Normalisierung von Inkompetenz. Je öfter unpassende Personalien „durchgehen“, desto selbstverständlicher wird das Prinzip. Es entsteht der Eindruck: Hauptsache, einer hält die Linie – egal wie gut oder schlecht er ist. Peterprinzip in Reinkultur.
In einer funktionierenden Demokratie sollte das Gegenteil gelten: Kontrolle, Erneuerung, Verantwortlichkeit. Doch wo sind die innerparteilichen Korrektive? Wer widerspricht? Die wenigen Mahner werden als Nestbeschmutzer abgestempelt – ein Wort, das in Deutschland traditionell dafür steht, wenn jemand zu ehrlich ist. Erinnert sei an Wadephul im Angesicht der syrischen Situation vor Ort.
Die Illusion der Alternativen
Die Folge: Wähler resignieren. Sie glauben, es mache keinen Unterschied mehr, wen man wählt – weil das Spiel überall gleich läuft. Der ARD-Deutschlandtrend und andere Umfragen bestätigen das regelmäßig. Das ist keine Wahrnehmungsstörung – das ist ein strukturelles Problem, das die Demokratie von innen aushöhlt.
Wenn der politische Betrieb zu einem geschlossenen System wird, das sich selbst reproduziert, bleiben die Besten draußen – und drinnen die Lautesten. Die Demokratie verliert dann schleichend ihre Substanz, bleibt aber formal intakt. Ein tödlicher Stillstand.
Schluss mit dem G’schmäckle
Politik wird von Menschen gemacht, nicht von Parteifarben. Und genau da liegt die Chance. Es bräuchte nur den Mut, wieder auf echte Fähigkeiten zu setzen, auf Charakter, auf Unabhängigkeit. Auf Menschen, die nicht nur verwalten, sondern gestalten wollen.
Aber solange das System auf Stallgeruch, Loyalität, geistige Inzucht und Selbstinszenierung setzt, bleibt alles beim Alten. Der Wähler verdient Besseres – und zwar schon lange.
Vielleicht wäre es Zeit, endlich zu hören, was die Menschen meinen, wenn sie Politik leid sind. Nicht, weil sie Demokratie ablehnen – sondern, weil sie keine mehr erkennen.
Das G’schmäckle ist längst keine Randerscheinung mehr. Es ist das Parfum des politischen Alltags. Und wer es zu lange einatmet, merkt nicht mehr, wie schlecht es eigentlich riecht.
