Digitales Lernen – eine Analyse eines Buzzwords – I

Es war mal wieder ein Podcast, der mich zum Nachdenken über einen interessanten Begriff gebracht hat, das digitale Lernen. Sascha Lobo sitzt auf der EduCouch.

Als Kind einer pädagogisch geprägten Familie ist das Vermitteln und Lernen für mich schon immer ein zentrales Thema gewesen. Jetzt, als Ehemann einer Grundschullehrerin und Vater eines schulpflichtigen Kindes bleibt das Lernen präsent. Für einen Ingenieur und Technikfan ist das Digitalisieren des Lernens natürlich doppelt spannend.

Umso mehr stellt sich mir die Frage, was tatsächlich unter diesem Buzzword verstanden werden sollte. Was die Politik und Öffentlichkeit darunter versteht, sollte aufgrund der Vielfältigkeit vielleicht lieber vernachlässigt werden.

Fangen wir also bei den typischen W-Fragen an.

Was soll vermittelt werden?

Bereits das „Was“ stellt in meinen Augen ein großes Problem dar, bin ich doch als naturwissenschaftlich geprägter Mensch thematisch vorbelastet und kann und darf von mir nicht auf andere Ausrichtungen schließen. 

Vielleicht wäre es ein profunder Ansatz, Auffälligkeiten im Berufsleben mit Lerninhalten zu korrelieren und so Defizite zu identifizieren.

Im Wesentlichen lassen sich meine persönlichen Erfahrungen auf folgende Punkte zusammenfassen:

Grundlagenwissen

Ich habe es mit verschiedensten technischen Systemen zu tun, die an Komplexität scheinbar kaum Luft nach Oben haben. Warum sage ich scheinbar? Weil sich die Systeme oft durch eine geschickte Dekomposition1 auf verhältnismäßig einfache Komponenten zurückführen lassen, die dann wiederum mit ausreichendem Grundlagenwissen verhältnismäßig leicht erklärbar werden. 

Was ist also das Grundlagenwissen? 

Ich würde hier eine sichere Beherrschung der Sprache und die Fähigkeit, Sachverhalten einfach verständlich darstellen zu können, als absolutes Grundlagenwissen definieren. Schaut man jedoch in die (deutsche) Fachliteratur, stellt man immer wieder fest, wie weit selbst vermeintliche Experten von diesem Grundwissen entfernt sind und sich in Worthülsen, Phrasen und schwülstigen Formulierungen verlieren.

Die Presse, deren Kernkompetenz die Beherrschung der Sprache sein müsste, glänzt auch immer wieder in fehlerhafter Orthographie und Grammatik, trotz verfügbarer Hilfsmittel wie Rechtschreibkontrollen.

Zum Erläutern von Sachverhalten gehört natürlich das Erfassen der Informationen, was verschiedene Kompetenzen in sich vereint. Da wäre die Fähigkeit des flüssigen Lesens und des Erkennens von Primär- und Subkontexten. Dass es hier nicht mehr weit her ist, merkt man an der Anfälligkeit der Gesellschaft für Verschwörungstheorien.

Wichtig für den Umgang mit Kontexten ist die Identifizierung von deren Aktualität und Wahrheitsgehalten, was wiederum die Fähigkeit zum Recherchieren voraussetzt. Das Erkennen von Wahrheitsgehalten ist allerdings oft nicht wirklich trivial, muss man doch auf eine Basis gesicherten Wissens zurückgreifen können. 

In der Mathematik und Physik gibt es da kaum Probleme, sind doch bis auf einige Spezialgebiete wie z.B. Quantenphysik viele Zusammenhänge als gesichert und in allgemeingültige Formeln gegossen. In der Chemie sind viele Fakten ebenfalls gesichertem Wissen zuzuordnen, speziell, was Formeln und Methoden angeht. 

In der Biologie2 wiederum ist noch ein großer Wissenshub zu erwarten. Viele Zusammenhänge sind entweder noch komplett unverstanden oder zumindest statistisch nicht vollumfänglich belastbar. Das spürt man auch gerade in der aktuellen Pandemiesituation.

Fremdsprachen

Mit meiner ersten Fremdsprache Russisch kann ich zwar heute nicht mehr viel anfangen, was sowohl an der Sprachvermittlung einer Literatursprache, meiner Motivation und letztlich auch mangelnden Gelegenheiten liegt. Trotzdem ist etwas hängengeblieben, was bei verschiedenen Anlässen den Zugriff auf passives Wissen ermöglicht, und sei es nur das oberflächliche Lesen einer Bedienungsanleitung.

Englisch hingegen verfolgt mich auf Schritt und Tritt, sei es im Beruf, in Fachliteratur, Foren usw. Dass ich in dieser Sprache halbwegs mithalten kann, liegt eigentlich lediglich an einer Intuition, diese Sprache lernen zu wollen, ohne (damals) exakt die Anwendung zu wissen.

Wirklich interessant werden Sprachen nicht nur wegen der erweiterten Möglichkeit zur Kommunikation, sondern vielmehr wegen linguistisch-kulturell geprägten Denkweisen, die mit den Sprachen transportiert werden. So ist das pragmatisch-simplifizierte Schreiben von Texten in der englischen Sprache deutlich häufiger anzutreffen, als im Deutschen. 

Lateinische Sprachen eröffnen den Blick in die Geschichte und europäisch geprägten Kulturen, was für das Verständnis der Kunst durchaus wichtig ist.

Kulturwissen

Eines der größten Defizite sehe ich in der Vermittlung von Kulturwissen. Hierzu zähle ich die Themen Geschichte, Musik, Malerei, Architektur, bildende Kunst, Literatur usw.

Problematisch ist nicht nur, dass hier persönliche Präferenzen und „Siegermentalitäten“ aufeinanderstoßen, sondern die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Teilbereichen oft unter den Tisch fallen. So wird zwar punktuell3 auf geschichtliche Ereignisse eingegangen, Auswirkungen auf Malerei, Literatur, Musik etc. jedoch kaum oder gar nicht erläutert. 

Und ja, es gibt sie, die Zusammenhänge. Ein Picasso, ein Dali, Gaudi, da Vinci usw. lebten nicht im kulturellen Vakuum, sie wurden beeinflusst und waren teilweise im großen Maße auch über ihr Hauptgebiet4 aktiv. 

Zum Kulturwissen zähle ich auch die Religion(en), die auch Atheisten vermittelt werden sollten, basiert auf ihnen doch im großen Maße die Geschichte und Kultur dieses Planeten. Immense Bedeutung gewinnen Religionen auch immer wieder in der Einordnung politischer Geschehnisse der Jetztzeit. Die Suche nach Wahrheit bzw. Motivationen hinter der Wahrheit sind oft (bewusst oder unbewusst) religiös geprägt.

Philosophie

Angeboren und abtrainiert, so lässt sich der momentane Umgang mit Philosophie derzeit in meinen Augen am Besten beschreiben. So strebt man nach Wissen, was aber nicht gleichbedeutend mit Weisheit ist. 

Unsere „Terra Incognita“ liegt nicht im Wissen sondern der Erkenntnis um die Zusammenhänge begründet und wird sich dank massiver Ablenkung5 wohl nur schwer beseitigen lassen. 

Systemisches Technikwissen

Wir sind mittlerweile massiv von Technikwissen abhängig, erkennen aber die Systeme dahinter nicht (mehr). Zugegeben, die Technologie wird immer komplexer, was aber nicht zwangsläufig damit einhergehen müsste, dass wir sie nicht verstehen können. Dekomposition und Abstrahierung wären hier die Stichworte. 

Abstrahieren muss aber gelernt und trainiert werden. Der „Drop Down Ansatz“ fällt gerade den Naturwissenschaftlern gerne schwer. Es scheint, was wäre „zu triviales Denken“ eines Ingenieurs nicht würdig, vieles scheint einfach zu banal, zu logisch und wird dann einfach vergessen.

Nein, alle Technologien zu verstehen, ist aufgrund der schieren Masse kaum möglich, aber eine Vorstellung über deren Funktion ist durchaus drin, wie ich es selbst immer wieder feststellen kann/muss.

Medienverständnis

Hier scheint mir persönlich das Defizit am Größten, das Wissen um den Umgang mit Medien, unabhängig aus welcher Quelle und auf welchem Material.

Jede Medienquelle muss mit einer gesunden Skepsis betrachtet werden, das gilt gleichermaßen für „Schundpresse“ wie die „Bild“, als auch Werke der Weltliteratur oder Aussagen von Hegel, Kant & Co.

Wenn ich von einer gesunden Skepsis spreche, sollte man folgende Fragen im Hinterkopf haben:

  • Kann die Aussage wirklich wahr sein?
  • Könnte es einen Grund geben, warum jemand die Aussage getroffen hat? Welche Ziele hat der Autor? Cui Bono?
  • Habe ich genug (halbwegs gesichertes) Wissen, um die Aussage einordnen zu können?
  • Welche äußeren Bedingungen können den Autor zu seiner Aussage veranlasst haben?
  • Ist sich der Autor seiner Reichweite und Wirksamkeit bewusst? Nutzt er das möglicherweise aus?
  • Können die Aussagen ein besonderes Ziel verfolgen, ohne falsche Angaben in falsche Richtungen führen?
  • Passen Aussagen und Illustrationen6 zum Text? Sind sie authentisch?
  • Habe ich die Möglichkeit (genutzt), andere Quellen zurate zu ziehen?

Ein paar Fragen könnten sicher noch dazu kommen, aber mit diesem Set dürfte man schon mal eine gute Bewertung von Medien erreichen.

… weiter im nächsten Beitrag.

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