Am 14. Oktober 2025 präsentierte Marcus Weyh, CEO und Gründer von EFFIZIENZMASTER, auf dem renommierten mITSM IT-Summit seinen Vortrag „On 0 auf Automatisiert – So arbeiten KI-Agents für dich“. Darin beleuchtete Weyh wirklich eindrucksvoll, wie KI-Agents und digitale Mitarbeiter zunehmend Routinetätigkeiten übernehmen, um den Fachkräftemangel abzufedern und Effizienzsteigerungen zu ermöglichen.
Doch diese Entwicklung wirft bei mir fundamentale Fragen auf: Wie viel Vergangenheit – verstanden als menschliche Erfahrung, Lernprozesse und Wissensaufbau – brauchen wir tatsächlich, damit die Zukunft im Arbeitsleben erfolgreich gestaltet werden kann? Wie verändern sich Lernen, Expertise und gesellschaftliche Strukturen durch die zunehmende Automatisierung? Zukunft braucht Vergangenheit!
Digitale Mitarbeiter übernehmen Routinejobs – Effizienz durch Automatisierung
Wer heute Unternehmen besucht, trifft immer häufiger auf digitale Mitarbeiter, sogenannte KI-Agents, die Aufgaben übernehmen, die früher von Menschen ausgeführt wurden. Dazu zählen etwa die Bearbeitung von Standardanfragen im Kundenservice, das Verarbeiten von Rechnungen, das Prüfen von Daten oder das Verfassen von einfachen Berichten. Der Grund liegt auf der Hand: Der Fachkräftemangel, vor allem im technischen und kaufmännischen Bereich, ist spürbar und verschärft sich, während gleichzeitig die Nachfrage nach schnellen, effizienten Prozessen steigt.
Die Automatisierung von Routineaufgaben durch KI verspricht enorme Effizienzgewinne. Sie schont Ressourcen, beschleunigt Vorgänge und entlastet Beschäftigte von monotonen Tätigkeiten. Die Unternehmensführung sieht darin eine „Win-win“-Situation: Mitarbeiter können sich auf strategische und kreative Arbeit konzentrieren, während die KI die Routinen zuverlässig übernimmt.
Routineaufgaben als unterschätzte Quelle von Lernen und Expertise
Doch hier beginnt ein entscheidendes Dilemma: Was passiert mit dem Lernen, wenn Routineaufgaben vollständig automatisiert werden? Routine ist nicht bloß langweilige Arbeit, sondern war immer eine wichtige Lernplattform für Junioren und Berufseinsteiger. Sie ermöglicht den Aufbau von Prozessverständnis, Problemlösungskompetenzen und kontextuellem Wissen. Durch sich wiederholende Aufgaben und das aktive Verarbeiten von Entscheidungen werden Zusammenhänge sichtbar und verinnerlicht.
Dieser Erfahrungsaufbau ist eine essenzielle Grundlage für spätere Spezialkenntnisse und Expertise. Wenn jedoch Maschinen diese Aufgaben übernehmen, „lernt“ der Mensch diese Dinge nicht mehr durch eigenes Erfahren, sondern nur am Rande durch Beobachtung oder Anleitung. Der Wissenserwerb verlagert sich in eine passive Rolle, anstatt aktiv zu sein. Wahrscheinliche Konsequenz: Die qualitative Tiefe des Wissens sinkt auf Seiten der Mitarbeiter.
Doch nicht nur das. Auch führt die Bereitschaft des Unternehmens, Zeit und damit Geld in die Ausbildung von Mitarbeitern zu stecken, zu Mitarbeiterbindung und Loyalität. Faktoren, die monetär zwar nicht ausweisbar sind, aber für die Entwicklung von Unternehmen durchaus wichtig.
Gesellschaftliche und ökonomische Schattenseiten der Automatisierung
Auch auf gesellschaftlicher Ebene ergeben sich durch die Substitution von menschlicher Arbeit durch KI-Agents weitreichende Effekte. Weniger menschliche Beschäftigung bedeutet weniger Lohnsteuereinnahmen, geringere Sozialabgaben und damit weniger Ressourcen für soziale Sicherungssysteme wie Rente, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Unternehmen profitieren oft unmittelbar in Form von Kostenersparnissen und Produktivitätssteigerungen, doch der breitere soziale Nutzen schrumpft.
Diese Diskrepanz führt zum Spannungsfeld zwischen privatem Gewinn und gesellschaftlicher Lastenverteilung. Die bisherigen Steuersysteme sind nicht auf eine solche Entkoppelung von Arbeit und Einkommen eingestellt. Eine Automatisierungssteuer wird immer häufiger als notwendiges Instrument diskutiert, um gesellschaftliche Ausfälle aufzufangen und eine faire Kostenverteilung zu ermöglichen. Parallel könnte eine Politik, die den bewussten Einsatz von Menschen in Kombination mit Automatisierung belohnt, soziale Verwerfungen abfedern.
Nebeneffekt mit drastischen Auswirkungen auf die Wertigkeit der (vermeintlichen) Gewinne durch Automatisierung – digital agents sind keine Kunden, nicht einmal potentiell.
Fachkräftemangel kompensieren – doch um welchen Preis?
Kaum ein Unternehmen kann es sich leisten, wegen fehlender Mitarbeiter Aufträge oder Wachstumschancen zu verlieren. Die Fachkräftelücke zwingt zur Suche nach Alternativen, und KI-Agents sind hier ein populäres Mittel der Wahl. Doch die Automatisierung der „Einstiegsebene“ – der Routinetätigkeiten – hat eine Schattenseite: Nachwuchstalente, die sich durch praktische Anwendung erst qualifizieren und zu Experten entwickeln, verfügen künftig über sehr begrenzte Chancen, überhaupt einzusteigen.
Dies birgt das Risiko eines langfristigen Kompetenzverlustes. Die sogenannten „versteckten Talente“ können durch den Wegfall von Routine keine Praxiserfahrung mehr sammeln und damit auch nicht zum Fachpersonal von morgen reifen. Die Unternehmen verlieren dadurch nicht nur potentielle Fachkräfte, sondern auch deren Innovationskraft. Ein Teufelskreis beginnt: Mangel an echten Experten, noch mehr Automatisierung, noch weniger Nachwuchs.
Wissensmanagement im Zeitalter der KI: Chancen und Risiken
Die Digitalisierung revolutioniert auch das Lernen im Unternehmen. Immer mehr Lernformate werden durch intelligente Systeme ersetzt oder ergänzt, die Wissen in Echtzeit und personalisiert bereitstellen. KI-gestützte Chatbots, digitale Lernassistenten und Self-Service-Plattformen unterstützen Mitarbeitende darin, Informationen schnell zu finden und anzuwenden.
Doch diese Systeme machen das Lernen oft zu einer Blackbox. Mitarbeiter erhalten Antworten, doch wie viel davon tatsächlich verstanden oder verinnerlicht wurde, ist schwer messbar. Die Tiefe und Qualität des Lernens wird schwer nachvollziehbar, Kontrollmechanismen fehlen. Dies birgt die Gefahr, dass oberflächliches Wissen die Norm wird und tiefgehendes, kritisches Denken auf der Strecke bleibt.
Führungskräfte und Entscheider: Das fehlende Wissen über KI-Auswirkungen
Viele Führungskräfte agieren in Sachen KI auf Grundlage von Beratermeinungen und technischen Empfehlungen, oft ohne ein fundiertes Verständnis für langfristige Konsequenzen. Risiken wie Wissensverlust, Kompetenzverlagerung oder die Veränderung sozialer Strukturen werden unterschätzt oder ignoriert. Ohne ein entsprechendes Risikobewusstsein können Fehlentscheidungen in der Automatisierungsstrategie entstehen, die Unternehmen und Gesellschaft schaden.
Es ist daher unerlässlich, dass Unternehmen in die Kompetenzentwicklung ihrer Entscheider investieren, damit diese die Auswirkungen von KI-Einsätzen umfassend bewerten und steuern können. Nur so bleibt Kontrolle bei den Menschen – und KI wird zum Werkzeug, nicht zum Ersatz.
Optimierung um jeden Preis? Menschlichkeit bewahren
Der Optimierungsdruck wirkt so stark, dass soziale und menschliche Faktoren oft hintangestellt werden. Doch Menschen sind keine Maschinen. Erfahrung, Empathie, Kontextverständnis und kreative Problemlösung sind Eigenschaften, die Maschinen (noch) nicht besitzen. Sie sind unersetzlich in komplexen, dynamischen Arbeitsumgebungen.
Folglich sollte der Einsatz von KI niemals den Ersatz von Menschen bedeuten, sondern deren Ergänzung. Ein ausgewogenes Verhältnis, in dem Mensch und Maschine gemeinsam agieren, bringt die besten Resultate. Diese Balance zu finden, ist zentrale Aufgabe von Unternehmen, Gesellschaft und Politik gleichermaßen.
Nutzen der KI setzt Wissen voraus – Lernen darf nicht ersetzt, nur unterstützt werden
Künstliche Intelligenz kann Lernprozesse exzellent unterstützen, indem sie Informationen strukturiert, Zugänge erleichtert und Lerninhalte personalisiert bereitstellt. Allerdings darf sie nicht die Lern- und Lehrverantwortung vollständig übernehmen. Das tiefe Verstehen, die kritische Bewertung und die Fähigkeit, Wissen kreativ anzuwenden, sind menschliche Kernaufgaben.
Wissen allein aus KI-gestützten Antworten zu beziehen, führt zu Abhängigkeit und passivem Verhalten. Nur wer selbst lernt, kann künftig KI-Systeme hinterfragen, bewerten, steuern und weiterentwickeln. Die Vergangenheit – also der Lernprozess aus Erfahrung und Fehlern – bleibt unverzichtbar als Fundament der Zukunftsfähigkeit.
Die Zukunft braucht Vergangenheit als Lehrmeister
Vergangenheit ist kein ballastender Rückblick, sondern ein aktiver Lernprozess, der Fehler, Wiederholungen, Erfolg und Verständnis umfasst. Wenn Unternehmen diesen Lernraum durch Automatisierung aufgeben, riskieren sie ihre langfristige Innovations- und Anpassungsfähigkeit. Denn wer nie selbst einen Fehler gemacht hat, wird auch kaum innovative Lösungen entwickeln.
Innovationsfähigkeit erfordert Mut zum Scheitern und die Bereitschaft, eigene Fehler aus der Praxis zu reflektieren. KI kann das unterstützen, aber nicht ersetzen. Die Zukunft wird deshalb nicht „ohne Vergangenheit“ funktionieren, sondern nur mit ihrer bewussten Einbindung und Nutzung.
Schlussbetrachtung: KI-Agents als Chance mit Verantwortung
Die Automatisierung von Arbeit durch KI-Agents eröffnet enorme Potenziale für Unternehmen und Gesellschaft. Doch diese Chancen kommen mit Herausforderungen, die weit über technische Fragen hinausgehen. Der Verlust von Lernräumen, der soziale Ausgleich, die Kompetenzentwicklung und das Risikobewusstsein sind Faktoren, die dringend in den Fokus rücken müssen.
Marcus Weyhs Vortrag auf dem mITSM IT-Summit macht deutlich, dass eine nachhaltige Zukunft nur dann gelingt, wenn wir Digitalisierung nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung sehen. KI ist ein Werkzeug, das Menschen entlastet, aber niemals Menschen ersetzen darf. Dafür braucht es eine Politik, die soziale Folgen steuert, Bildung, die Entscheider befähigt und Unternehmen, die Mensch und Maschine klug verbinden.
Die entscheidende Frage lautet also nicht mehr nur „Wie viel können wir automatisieren?“, sondern „Wie viel Vergangenheit dürfen wir behalten, um Zukunft gestalten zu können?“ Die Antwort auf diese Frage wird darüber entscheiden, wie lebenswert und innovativ unsere Arbeitswelt morgen sein wird.